Das Magdalena-Evangelium: Roman
immer drängender.
Maureen warf ein paar Sachen über und zog ihre Schuhe an,voller Angst, sie könnte zu lange brauchen und den Kontakt mit der überirdischen Führerin verlieren.
Vorsichtig schob Maureen ihre Zimmertür auf; sie betete, dass sie nicht quietschte und gar jemanden aufweckte. Verstohlenheit war ihre Verbündete, wie bei der Magdalena in ihrem Traum. Sie durfte nicht gesehen werden, noch nicht. Dies hier musste sie allein vollbringen.
Maureens Herz dröhnte in ihren Ohren, während sie auf Zehenspitzen durch das Schloss schlich. Als sie sich der Haustür näherte, blieb sie wie angewurzelt stehen. Die Alarmanlage! Das Portal war durch einen Kode gesichert. Sie hatte gesehen, wie Roland ihn eines Morgens nach dem Frühstück deaktivierte, hatte aber die Zahlenfolge nicht erkennen können, sondern nur gesehen, dass er in rascher Folge dreimal auf das Zahlenfeld tippte. Folglich musste es ein dreistelliger Kode sein.
Maureen verharrte vor dem Ziffernfeld und versuchte, wie Sinclair zu denken. Was für einen Kode würde er benutzen? Es durchfuhr sie wie ein Blitz: Der 22. Juli war der Feiertag der Magdalena! Maureen tippte den Kode ein, wie sie es Roland hatte tun sehen. 7-2-2. Nichts. Ein rotes Licht leuchtete auf, und ein lautes Tuut! ertönte, sodass Maureen vor Schreck fast aus der Haut fuhr. Verdammt! Bitte, bitte, mach, dass es niemanden aufgeweckt hat!
Sie nahm sich zusammen und überlegte. Viel Spielraum für einen Irrtum blieb nicht. Wenn sie noch ein paar falsche Kodes eingab, würde irgendwann zwangsläufig der Alarm ausgelöst werden. Maureen hob den Kopf und flüsterte dem Himmel zu: »Bitte, hilf mir.«
Was hatte sie sich denn vorgestellt? Dass die Stimme antworten würde? Ihr die Nummer vorsagen würde? Oder dass sich die Tür wie von Zauberhand öffnen und ihr Auslass gewähren würde? Maureen wartete einen Augenblick, aber nichts geschah.
Sei nicht so ein Idiot. Komm schon, Maureen, denk nach.Und dann kam es. Es war nicht die körperlose Frauenstimme, sondern eine Stimme in ihrem Kopf, eine Stimme aus der Erinnerung. Es waren Sinclairs Worte, die er an ihrem ersten Abend im Château gesagt hatte.
»Meine Liebe, Sie sind das Paschalamm.«
Maureen wandte sich dem Zahlenfeld zu und tippte 3-2-2 ein. Ihr Geburtsdatum, der Tag des Letzten Abendmahls.
Ein zweimaliges kurzes Blipp! ertönte, ein grünes Licht leuchtete auf, und eine mechanische Stimme sagte irgendetwas auf Französisch. Maureen wartete nicht ab, ob jemand im Schloss dadurch geweckt wurde. Sie zog die schwere Tür auf und flitzte hinaus auf die kopfsteingepflasterte Einfahrt, die vom Mondlicht erhellt wurde.
Maureen wusste genau, wohin sie gehen musste. Sie wusste nicht, warum und wie, aber sie kannte ihr Ziel. Die Stimme war nicht länger vernehmbar, aber die brauchte sie nicht. Etwas anderes hatte die Führung übernommen, irgendein inneres Wissen, dem sie ohne zu fragen folgte.
Rasch schritt sie um das Haus herum, nahm denselben Weg, auf dem Sinclair sie herumgeführt hatte. Dort war ein Pfad, ein überwachsener, schwer zu verfolgender Pfad, der ohne das Licht des vollen Mondes nicht zu sehen gewesen wäre. Maureen eilte schnellen Schrittes, bis sie ihr Ziel in der Ferne erblickte: Sinclairs Torheit – den scheinbar nutzlosen Turm, den Alistair Sinclair mitten auf seinen Besitz gebaut hatte.
Doch der Turm hatte einen Nutzen, wie sie inzwischen sehr wohl wusste. Er war ein Wachtturm, wie Bérenger Saunières Tour Magdala in Rennes-le-Château. Beide Männer hatten die Region im Auge behalten wollen für den Tag, an dem Maria Magdalena den Entschluss fasste, ihr Geheimnis zu offenbaren. Beide Türme schauten über das Gebiet, auf dem der Schatzverborgen liegen sollte. Voller Erwartung eilte Maureen auf den Turm zu, doch im Näherkommen sank ihr der Mut. Ihr war eingefallen, dass Sinclair den Turm verschlossen hielt. Als sie ihn besichtigt hatten, hatte er mit einem Schlüssel aufgesperrt.
Aber Moment mal – hatte er den Turm auch wieder abgeschlossen? Maureen zermarterte sich das Gedächtnis. Sie waren in ein Gespräch vertieft gewesen, und sie konnte sich nicht mehr erinnern, ob es so gewesen war. War er vielleicht so auf ihre Unterhaltung konzentriert gewesen, dass er es vergessen hatte? War er später zurückgekehrt, um seine Nachlässigkeit wiedergutzumachen? Oder sperrte das Schloss automatisch zu?
Maureen sollte nicht lange im Ungewissen bleiben. Als sie den Turm umrundete und zum Eingang kam, sah sie die
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