Das Magdalena-Evangelium: Roman
ist auf niemandes Seite. Ihn interessieren nur seine Verderbtheit und sein Vergnügen. Seinen Sold bezieht er von Rom. Jude ist er nur, wenn es seinen Zielen dienlich ist.«
»Seine Frau ist eine Nazarenerin«, betonte Isa.
Diese Bemerkung wurde mit Schweigen quittiert. Isa war Anhänger der liberalen Lehre der Nazarener, einer Bewegung, in der seine Mutter eine der Führerinnen war. Die Nazarener hielten sich nicht so strikt an die Gebote wie die Tempeljuden. In ihrer anders gearteten Tradition waren Frauen bei den religiösen Riten zugelassen, ja, sie kannten sogar Prophetinnen. Auch erlaubten sie Nichtjuden, die Lehren anzuhören und am Gottesdienst teilzunehmen.
Während Hannas die Splittergruppe der Zeloten als wichtigstenGrund betonte, warum der Rat Isa die Unterstützung entzogen hatte, wusste doch jeder im Raum, dass dies nur eine Vernebelung der Wahrheit war. Isas Lehren waren zu revolutionär, zu sehr von den Nazarenern beeinflusst. Die Tempelpriester hatten nicht mehr genügend Einfluss auf ihn.
Indem er darauf hinwies, dass Herodes’ Ehefrau Nazarenerin war, hatte Isa den Tempelpriestern eine Herausforderung entgegengeschleudert. Sie besagte, dass er auch ohne ihren Segen seine in der Prophezeiung geweissagte Rolle als König aus dem Hause David und Messias annehmen würde, und er wollte es als Nazarener tun. Diese Entscheidung barg ein großes Risiko. Zwar konnte sie die Macht der Hohepriester schwächen, konnte aber auch Isa zum Nachteil ausschlagen, wenn das Volk ihm die Unterstützung entzog und sich den traditionellen Führern zuwandte.
Doch Hannas hatte seinen Angriff noch nicht zu Ende geführt. Seine Stimme durchschnitt die Spannung im Raum wie ein Messer.
»Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam.«
Wieder senkte sich Stille über die Versammlung, und Maria, auf der Lauer vor der Tür, erstarrte. Ihr Mund war trocken, ihre Zunge geschwollen. Hannas’ Worte waren eine Anspielung auf das Hohelied König Salomos, geschrieben als Lobgesang auf die höchste dynastische Vereinigung der Adelsgeschlechter Israels. Hier jedoch war es eine überdeutliche Anspielung auf das Verlöbnis von Maria und Isa. Damit ein König über das Volk herrschen durfte, musste er sich gemäß der Tradition eine Braut gleicher königlicher Abkunft wählen. Als benjaminitische Nachfahrin von König Saul war Maria die ranghöchste Prinzessin in Israel. Als solche war sie Jeshua, dem Sohn des Löwen, bereits in frühester Kindheit versprochen worden. Die Stämme Juda und Benjamin waren seit dem Altertum verbunden gewesen, und die dynastische Verbindung dieser beiden Linien hatte bestanden, seit Sauls Tochter Michael mit David vermählt worden war.
Aber um ein dynastischer König innerhalb des Gesetzes zu sein, musste dieser seine Partnerin aus einer ebensolchen Dynastie erwählen. Und nun griff Hannas ihr Verlöbnis an!
Als Nächstes sprach Marias Bruder. Lazarus hatte seine Gefühle allzeit unter Kontrolle, und nur ihm sehr nahestehende Menschen hätten die Spannung in seiner Stimme vernommen, als er sich nun an den Hohepriester wandte.
»Hannas, meine Schwester ist Jeshua rechtmäßig anverlobt worden. Die Propheten haben gesagt, er ist der Messias, den unser Volk erwartet. Ich verstehe nicht, wie wir von diesem Weg abweichen können, den Gott uns gewiesen hat.«
»Du wagst es, mir zu sagen, was Gott gewiesen hat?«, fauchte Hannas mit einem Blick auf Isa.
Maria zuckte zusammen. Lazarus war ein Mann, der strikt die Gebote befolgte, und er würde es niemals wagen, den Hohepriester anzugreifen. »Wir glauben, dass Gott einen anderen Mann erwählt hat. Einen rechtschaffenen Verteidiger des Gesetzes, einen Mann, der alle Grundsätze hochhalten wird, die unserem Volk heilig sind, ohne für die Römer ein politisches Ärgernis darzustellen.«
Da war sie – die Wahrheit: ausgesprochen, damit alle sie hören konnten. Ein rechtschaffener Verteidiger des Gesetzes . Dies war Hannas’ Art, Isa zu zeigen, dass die Hohepriester trotz seiner makellosen Abstammung keine seiner Nazarener-Reformen dulden würden.
»Und wer ist es?«, fragte Isa ruhig.
»Johannes.«
»Der Täufer?«, fragte Lazarus ungläubig.
»Er ist auch verwandt mit dem Löwen«, warf eine andere raue Stimme ein, die Maria nicht erkannte. Möglicherweise war es dieser jüngere Priester, Kaiphas, der Schwiegersohn des Hannas.
»Er ist kein Nachkomme Davids.« Isas Stimme war immer noch ruhig.
»Nein.« Das war Hannas. »Aber seine Mutter stammt aus
Weitere Kostenlose Bücher