Das Magdalena-Evangelium: Roman
der Priesterlinie Aarons, und sein Vater ist ein Zadokite. Das Volk glaubt, dass er der Erbe des Propheten Elias ist. Das wird ausreichen, um das Volk umzustimmen, ihm zu folgen, wenn er mit der passenden Braut verheiratet ist.«
Nun hatten sie den Kreis geschlossen. Hannas war gekommen, um Marias Verlöbnis mit dem Kandidaten für die Rolle des Messias zu sichern, den die Priester im Auge hatten. Sie war die Ware, die sie benötigten, um seine Königswürde zu rechtfertigen.
Nun ergriff eine laute, zornige Stimme das Wort. Maria hatte Isas jüngeren Bruder Jakob nie kennen gelernt, aber sie erriet, dass er der Zürnende war. Denn seine Stimme ähnelte Isas, nur fehlte ihm die ruhige Beherrschtheit, die alle Äußerungen des älteren Bruders auszeichnete.
»Ihr könnt eure Gesalbten, eure künftigen Könige, nicht aussuchen wie Waren in einem Basar. Wir alle wissen, dass Jeshua der Auserwählte ist, der unser Volk vom Joch befreien soll. Wie könnt ihr es wagen, einen Ersatz zu nehmen, nur weil ihr um eure kostbaren Posten fürchtet!«
Nun erschollen viele Rufe, die Männer versuchten, einander zu übertönen. Maria versuchte Stimmen und Worte zu erkennen, doch sie zitterte am ganzen Leibe. Alles würde sich verändern, sie spürte es bis ins Mark.
Die raue, befehlsgewohnte Stimme Hannas’ übertönte die anderen.
»Lazarus, nur du als Vormund dieses Mädchens kannst die Entscheidung treffen, das Verlöbnis zu brechen und die Tochter Benjamins unserem erwählten Kandidaten zuteil werden zu lassen. Es liegt nun in deiner Hand. Aber ich erinnere dich daran, dass dein Vater Pharisäer war und ein treuer Diener des Tempels. Ich kannte ihn gut. Er würde erwarten, dass du tust, was das Beste für das Volk ist.«
Maria spürte die schwere Last auf Lazarus’ Schultern selbstdurch die Tür. Es stimmte insoweit, als ihr Vater dem Tempel ergeben war und dem Gesetz bis zu seinem Tode treu gedient hatte. Marias Mutter war Nazarenerin gewesen, doch das bedeutete für diese Männer gar nichts. Lazarus hatte dem Vater auf dem Sterbebett geschworen, dass er das Gesetz ehren und den Rang des Hauses Benjamin um jeden Preis erhalten werde. Nun sah er sich vor eine furchtbare Wahl gestellt.
»Ihr wünscht, meine Schwester mit dem Täufer zu verheiraten?«, fragte Lazarus vorsichtig.
»Er ist ein rechtschaffener Mann und ein Prophet. Und sobald Johannes als Messias gesalbt ist, wird deine Schwester als seine Frau denselben Status innehaben, als hätte sie diesen Mann geheiratet«, antwortete Hannas.
»Johannes ist ein Eremit, ein Asket«, unterbrach Isa. »Er hat weder Wunsch noch Bedürfnis nach einer Frau. Er hat ein Leben in der Abgeschiedenheit gewählt, weil er glaubt, es bringt ihn Gottes Stimme näher. Wollt ihr etwa seine selbst gewählte Einsamkeit und sein gutes Werk zerstören, indem ihr ihn in eine Ehe drängt – mit all ihren Verpflichtungen, die sie laut Gesetz mit sich bringt?«
»Nein«, entgegnete Hannas. »Wir würden Johannes zu gar nichts drängen. Er wird das Mädchen heiraten, um seinen Status als Messias vor dem Volk zu bestätigen. Danach wird sie im Hause seiner Verwandten leben, und Johannes darf wieder Prediger sein. Sie wird ihren vom Gesetz vorgeschriebenen dynastischen Pflichten nachkommen, und er ebenso.«
Maria lauschte; sie betete, dass die Übelkeit in ihrem Magen nicht zu ihrem Mund vordrang, damit sie sich nicht verriet. Sie wusste, was »dynastische Pflichten vor dem Gesetz« bedeuteten: Es ging um nichts anderes als die Fortpflanzung. Sie sollte Kinder bekommen – mit Johannes, dem Verfechter der Askese. Es war schlimm genug, dass diese Männer versuchten, ihr das größte Glück zu nehmen, von dem sie je geträumt hatte: die Hochzeit mit Isa. Doch schlimmer noch war, dass sie damit Isavon seinem rechtmäßigen Platz als zukünftiger König vertreiben würden.
Und dann der Täufer selbst. Maria hatte diesen Mann, der an den Ufern des Jordan predigte, nie gesehen, doch im Volk war er berühmt. Er war mit Isa verwandt, war sein älterer Vetter, doch vom Temperament ein ganz anderer Mensch. Isa verehrte Johannes, nannte ihn oft einen großen Diener Gottes und einen wahrhaftigen und rechtschaffenen Mann. Doch Isa erkannte auch Johannes’ Grenzen. Er hatte es Maria einmal erklärt, als sie ihn nach dem zornigen Prediger fragte, der die Menschen mit Wasser taufte. Johannes lehnte Frauen, Nichtjuden, Lahme und Unreine ab, während Isa glaubte, dass Gottes Wort für alle Menschen war, die
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