Das Magdalena-Evangelium: Roman
Stücken gibst.«
Wieder bekundete Isa sein Einverständnis. »Meine Erfüllung ist, der Freund des Bräutigams zu sein. Ich muss kleiner werden, damit du wächst, und so soll es sein.«
Es war ein Wortspiel, eine Art Tanz der beiden großen Propheten, die gegenseitig ihre politische Einstellung erkundeten. Als Johannes überzeugt war, dass sein Vetter sich freiwillig bereit erklärte, auf seine Stellung wie auch auf seine Braut zu verzichten, wandte er sich der versammelten Menge an den Ufern des Jordan zu. Er gab ihnen eine Erklärung ab, bevor er Isa zur Taufe rief.
»Nach mir kommt dieser Mann, der mir voraus ist – weil er vor mir erwählt wurde.«
Damit tauchte er Isa in die Wasser des Jordan. Johannes’ Worte waren sorgfältig gewählt: Sollte er in die Fußstapfen des Messias treten und sollte ihm etwas zustoßen, dann würde Jeshua der Erbe seines Throns sein. »Er wurde vor mir erwählt« wiesganz deutlich darauf hin, dass Johannes immer noch die Prophezeiung von Jeshuas Geburt anerkannte. Diese Darstellung sicherte ihm das Wohlwollen der Gemäßigten, die Johannes unterstützten und die Reformen der Nazarener fürchteten, ehrte jedoch Isa als das in den Prophezeiungen verheißene Kind. Die Worte »nach mir kommt dieser Mann« wiesen darauf hin, dass Johannes mit dem Gedanken spielte, die Rolle des Gesalbten zu übernehmen. Johannes, der schlichte Prediger in der Wüste, mit seinen rauen Kleidern und seinem rauen Stil eines Bekehrers, war möglicherweise leicht zu unterschätzen, doch seine Handlungen und Worte am Ufer des Jordan an jenem Tage zeigten ihn als klugen Politiker, mit dem man rechnen musste.
Als Isa aus dem Wasser auftauchte, jubelte die Menge ihnen zu, diesen beiden Propheten, die Gott der Herr berührt hatte. Doch dann breitete sich Stille im Tal aus, denn eine weiße Taube flog vom Himmel hernieder und schwebte anmutig über dem Haupte Isas aus dem Hause David.
Es war ein Anblick, der den Menschen im Jordantal und darüber hinaus in Erinnerung bleiben sollte, für alle Zeit.
Am nächsten Tag kehrte Kaiphas mit seinen Pharisäern an den Jordan zurück. Er hatte seine Strategie bezüglich Johannes sorgfältig geplant. Die Taufe Jeshuas hatte nicht den von ihm und Hannas vorausgesehenen Zweck erfüllt. Sie hatten geglaubt, wenn Isa sich der Taufe unterwürfe, würde er vor aller Welt Johannes’ Autorität anerkennen. Stattdessen hatte das Erscheinen der Taube die Menschen daran erinnert, dass der lästige Nazarener der Auserwählte der Prophezeiung war. Mehr als je zuvor mussten die Pharisäer sich nun darum bemühen, diese Vorstellung zu unterdrücken. Und deshalb musste der Titel des Messias so schnell wie möglich auf einen anderen übertragen werden – auf Johannes, den einzigen annehmbaren Kandidaten.
Doch Johannes war durch das Zeichen der weißen Taube beunruhigt. Besagte diese Himmelserscheinung, die unmittelbar auf Isas Taufe gefolgt war, nicht deutlich, dass Isa der Auserwählte Gottes war? Johannes schwankte, doch am Ende entschied er sich dafür, seinen Vetter zu unterstützen. Kaiphas, der die Methoden seines Schwiegervaters Hannas eifrig studiert hatte, war darauf vorbereitet und holte zum Gegenschlag aus.
»Dein Nazarener-Vetter weilt heute bei den Aussätzigen«, teilte er Johannes mit.
Johannes war entsetzt. Es gab nichts Unreineres als jene unglücklichen, von Gott verlassenen Geschöpfe. Und dass sein Cousin sich nun, da er die Taufe empfangen hatte, dennoch um diese Ausgestoßenen kümmerte, war undenkbar.
»Bist du sicher, dass es wahr ist?«, fragte er.
Kaiphas nickte ernst. »Ja. Ungern berichte ich, dass Jeshua heute Morgen an einem der schmutzigsten aller Orte geweilt hat. Ich habe gehört, dass er ihnen das Wort vom Reich Gottes predigte. Er hat ihnen sogar erlaubt, ihn zu berühren.«
Johannes war erstaunt, dass Jeshua so schnell so tief gesunken war. Er wusste natürlich, dass dies dem nachhaltigen Einfluss der Nazarener zu verdanken war. War Jeshuas Mutter nicht eine Maria und eine Anführerin der Bewegung? Aber sie war nur eine Frau und von geringer Bedeutung, abgesehen davon, dass sie ihren Sohn übermäßig beeinflusste. Doch wenn Jeshua sich am Tag nach seiner Taufe in die Welt der Unreinen begab, mochte das bedeuten, dass Gott ihm den Rücken zugekehrt hatte.
Und was war mit diesem Mädchen, dieser Tochter aus dem Hause Benjamin? Es störte Johannes, dass auch sie eine Maria war: Dies war ein Nazarener-Name und ein Hinweis darauf, dass das
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