Das Magdalena-Evangelium: Roman
eigene Frau ihn der Lächerlichkeit preisgab; folglich durfte sie sich nicht bei den Nazarenern sehen lassen. Dieses ließ er sich feierlich von Lazarus versprechen.
Maria, die jung und naiv war und nichts kannte als Liebe und Verständnis, wollte mit Johannes darüber reden, doch als sie versuchte zu widersprechen, bekam sie zum ersten Mal die Hand ihres Ehemannes zu spüren. Einen ganzen Tag lang trug sie den Abdruck seiner Finger auf ihrer Wange als Ermahnung daran, dass sie ihm nie mehr ungehorsam sein dürfe.
Maria graute vor Johannes’ Besuchen. Sie war froh, dass er so selten nach Bethanien kam, meistens nur, wenn er von seinerWirkungsstätte am Jordan auf dem Weg nach Jerusalem war. Er pflegte sich höflich nach ihrem Befinden zu erkundigen, und wenn es nach den Geboten schicklich war, vollzog er seine ehelichen Pflichten. Die übrige Zeit seiner Besuche nutzte Johannes, indem er Maria im Gesetz unterwies und ihr Büßerpflichten auftrug, wobei er immer wieder mahnte, dass Gottes Reich nahe war.
Als Prinzessin aus dem Hause Benjamin wusste Maria, dass es unziemlich war, den eigenen Ehemann mit einem anderen Manne zu vergleichen, doch sie konnte nicht umhin. Ihre Tage und Nächte waren erfüllt mit Gedanken an Isa und all das, was er sie gelehrt hatte. Es war schon erstaunlich, wie sehr Isas und Johannes’ Predigten einander so ähnlich klangen – beide versicherten, das Reich Gottes sei nahe –, denn ihre Botschaften waren so verschieden. Bei Johannes klang es wie eine unheilvolle Mahnung, dass grässlicher Schrecken die Sünder befallen werde. Bei Isa hingegen klang es nach einer wunderbaren Möglichkeit für alle, die ihr Herz Gott öffnen wollten.
Als Maria eines Tages hörte, Isa und seine Mutter und eine Gruppe Anhänger kämen nach Bethanien, spürte sie zum ersten Mal nach langer Zeit, wie die Freude in ihr Herz zurückkehrte.
»Sie dürfen nicht bei uns übernachten. Und du darfst nicht zu ihnen gehen, Maria. Dein Ehemann verbietet es.« Lazarus setzte dem Betteln der kleinen Schwester eine steinerne Miene entgegen.
»Wie kannst du mir das antun?«, protestierte Maria. »Sie sind meine ältesten Freunde – und manche von ihnen sind auch deine ältesten Freunde. Die Fischer Petrus und Andreas, die mit uns auf den Treppen von Kapernaum und an den Ufern des Sees Genezareth gespielt haben. Wie kannst du ihnen die Gastfreundschaft verweigern?«
Die Schwere der Entscheidung stand Lazarus ins Gesicht geschrieben. Es war furchtbar, die Freunde seiner Kindheit abzuweisen und darüber hinaus Isa und die Hohe Maria, beide hoch verehrte Nachkommen Davids. Aber Lazarus hatte Order vom Hohepriester bekommen, die Nazarener, die auf dem Weg nach Jerusalem durch Bethanien kamen, nicht in sein Haus aufzunehmen. Außerdem hatte sein Schwager befohlen, dass Maria niemals wieder die Lehre der Nazarener hören dürfe. Und Lazarus hatte geschworen, Maria innerhalb der von ihrem Ehemann gesetzten Grenzen fromm zu halten.
»Ich tue dies nur zu deinem Besten, Schwester.«
»So wie du mich zu meinem Besten mit dem Täufer verheiratet hast?« Maria wartete seine Antwort oder seine Betroffenheit gar nicht ab. Sie stürmte hinaus in den Garten; erst dort brach sie in Tränen aus.
»Er will wirklich nur dein Bestes.«
Maria hatte Martha nicht kommen hören, so versunken war sie in ihren Schmerz. Und wenn sie Martha auch liebte, auf weitere Lektionen in Gehorsam konnte sie gern verzichten. Maria öffnete den Mund, aber Martha ließ sie nicht zu Wort kommen.
»Ich bin nicht hier, um dich zu maßregeln. Ich möchte dir helfen.«
Skeptisch schaute Maria die Schwägerin an. Niemals hatte sie Martha gegen die Wünsche ihres Mannes opponieren sehen. Doch Lazarus’ Ehefrau besaß eine stille Kraft, und nun sah Maria den Ausdruck dieser Kraft auch in ihrem Antlitz gespiegelt.
»Maria, du bist mir wie eine Schwester, manchmal auch wie mein eigenes Kind. Ich kann es nicht ertragen, mit anzusehen, was du im letzten Jahr erleiden musstest. Und ich bin stolz auf dich, so wie dein Bruder. Ich weiß, dass er es dir nicht sagt, aber mir wiederholt er es immer wieder. Du hast deine Pflicht als edle Tochter Israels erfüllt und dabei stolz den Kopf hoch getragen.«
Maria wischte ihre Tränen ab. »Lazarus hat heute Geschäfte in Jerusalem zu erledigen«, fuhr Martha fort. »Er kommt nicht vor morgen Abend zurück. Und die Nazarener kommen hierher nach Bethanien; sie halten eine Versammlung im Hause des Simon ab.«
Ungläubig
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