Das Magdalena-Evangelium: Roman
jedoch gründete auf harten Urteilen und strikten Regeln. Isaund die Nazarener nahmen in ihren Reihen Frauen auf, während die Anhänger des Johannes sie verunglimpften. Johannes hatte Frauen immer gering geachtet, und die Darstellung, die er seinen Anhängern von Maria und Salome als Reinkarnation der Huren Babylons gegeben hatte, zementierte die Vorstellung von der Frau als einem niederen Wesen.
Maria Magdalena sollte fortan der Inbegriff der reuigen Sünderin sein, Salome die wohlfeile Dirne. Die Anhänger Johannes des Täufers entzündeten dieses Feuer der Ungerechtigkeit und schürten eine Feuersbrunst, die noch Tausende von Jahren brennen sollte.
Isa der Nazarener, Prinz aus dem Hause David, wollte die öffentliche Meinung über die verleumdete und jüngst verwitwete Prinzessin ändern. Er wusste besser als jeder andere, welches Unrecht dieser guten, ehrbaren Frau angetan worden war. Sie war nicht weniger als zuvor eine Tochter des Stammes Benjamin, von königlichem Geblüt und mit reinem Herzen – und er liebte sie.
Lazarus fuhr erschrocken zurück, als er den Sohn des Löwen vor seiner Tür sah, allein, ohne Gefolgschaft.
»Ich bin gekommen, um Maria und das Kind zu sehen«, sagte Isa schlicht.
Stotternd rief Lazarus nach Martha und bedeutete Isa einzutreten. Martha kam ins Zimmer und verbarg weder ihre Überraschung noch ihre Freude. Lange schon hatte sie mit den Ansichten der Nazarener sympathisiert, auch wenn sie aus einer Familie stammte, die den Lehren des Tempels nahestand. Isa selbst hatte sie stets geliebt und verehrt.
»Ich hole Maria und das Kind«, sagte Martha und eilte aus dem Zimmer.
Als er mit Isa allein war, versuchte Lazarus sich zu rechtfertigen.»Jeshua, es gibt so vieles, wofür ich mich entschuldigen möchte …«
Isa hielt eine Hand hoch. »Friede, Lazarus. Meines Wissens hast du nie etwas getan, von dessen Rechtmäßigkeit und Wahrheit du nicht im Herzen überzeugt gewesen wärest. Du bist ehrlich zu dir selbst und ehrlich zu Gott, deinem Herrn. Und deshalb musst du dich weder vor mir noch vor anderen rechtfertigen.«
Lazarus war ungeheuer erleichtert. Lange schon reute es ihn, dass er das Verlöbnis zwischen Isa und seiner Schwester gebrochen hatte und dass er den Nazarenern in jener für Maria so schicksalhaften Nacht das Obdach verweigert hatte. Aber er hatte keine Zeit, es auszusprechen, weil der kleine Johannes-Josef mit herzhaftem Schreien seine Anwesenheit kundtat.
Isa wandte sich lächelnd Maria und ihrem Kind zu. Er streckte die Arme nach dem Baby aus, das vom Schreien rot angelaufen war. »Er ist so schön wie seine Mutter und so rechthaberisch wie sein Vater«, lachte Isa und nahm das Kind auf den Arm. Sobald Isas Hand ihn berührte, hörte der kleine Johannes-Josef zu weinen auf. Er wurde still und sah diese neue Gestalt neugierig an. Dann gurrte er zufrieden, als Isa ihn hin und her wiegte.
»Er mag dich«, sagte Maria. Plötzlich war sie scheu in Gegenwart dieses Mannes, der im Volk zu einer Legende geworden war.
Isa schaute Maria ernst an. »Ich hoffe es.« Dann wandte er sich an Lazarus. »Lazarus, lieber Bruder, ich würde gern mit Maria allein über eine sehr wichtige Angelegenheit reden. Sie ist jetzt Witwe, also ziemt es sich, wenn ich ohne Vermittler mit ihr spreche.«
»Natürlich«, murmelte Lazarus und verließ eilends das Zimmer.
Isa, der den kleinen Johannes immer noch auf dem Arm hielt, bedeutete Maria, Platz zu nehmen. Einen Augenblick langsaßen sie still und glücklich beieinander. Das Baby fuhr fort zu gurren und fasste in Isas Haar, das er nach Art der Nazarener lang trug.
»Maria, ich muss dich etwas fragen.«
Sie nickte still, wusste nicht, was nun kommen würde, spürte aber die Seligkeit, ihm wieder nahe zu sein. Isas Gegenwart war Balsam für ihre wunde Seele.
»Du hast viel ertragen für den Glauben an mich und den Rechten Weg. Ich möchte dieses Unrecht für dich und dein Kind wiedergutmachen. Maria, ich möchte, dass du meine Frau wirst und mir die Erlaubnis gibst, Johannes’ Sohn wie meinen eigenen aufzuziehen.«
Maria saß wie erstarrt da. Hatte sie richtig gehört? Das war doch nicht möglich!
»Isa, ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Sie hielt kurz inne, versuchte die Gedanken zu fassen bekommen, die ihr durch den Kopf schwirrten. »Ich habe mein Leben lang davon geträumt, deine Frau zu werden. Und als es nicht sein sollte … habe ich diesen Traum begraben. Aber ich kann nicht zulassen, dass du so etwas tust. Ich
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