Das Magdalena-Evangelium: Roman
verrichtete, machten seine Jünger sich daran, herauszufinden, wer Maria Magdalena vergiftet hatte.
Der Schuldige wurde nie gefunden. Man nahm an, dass ein fanatischer Anhänger des Johannes in der Schar der Täuflinge an den Jordan gekommen war und Maria das Gift untergeschoben hatte. Von diesem Tag an achtete Maria Magdalena darauf, in der Öffentlichkeit weder zu essen noch zu trinken, bevor sie nicht genau wusste, woher die Speisen stammten. Noch oft in ihrem bewegten Leben sollte sie Angriffen von Neid und Hass ausgesetzt sein.
Isas Heilung der Maria Magdalena von dem »Gift der sieben Teufel« verbreitete sich als eine der großen Legenden vom Wirken der Nazarener. Wie so viele Elemente aus Magdalenas Geschichte sollte auch dieses verdreht und später gegen sie benutzt werden.
Jäh wurden Marias Erinnerungen von einem Ruf im Hof unterbrochen. Es war Judas, der verzweifelt nach Isa suchte. Maria eilte zu ihm hinaus. »Was hast du?«
»Meine Nichte, die Tochter des Jairus.« Judas keuchte, er war außer Atem. Er war den ganzen Weg von der Ostmauer hergerannt, um Isa zu finden. »Vielleicht ist es schon zu spät, aber ich brauche ihn. Wo ist er?«
Maria führte ihn in Josefs Haus, in dem die Männer zusammensaßen. Isa sah, wie aufgewühlt Judas war, und stand gleich auf, um ihn zu grüßen. Atemlos berichtete Judas, dass seine Nichte von einem Fieber befallen worden sei, das unter den Kindern von Jerusalem und Umgebung wütete. Viele waren ihm bereits erlegen. Als Judas davon gehört hatte und zu Jairus gegangen war, hatten ihm die Ärzte bedeutet, dass es bereits zu spät sei. Da Jairus eine hohe Stellung im Tempel innehatte und ein enger Bekannter des Pilatus war, standen ihm die besten Ärzte zur Verfügung. Und wenn diese das Mädchen aufgegeben hatten, musste es inzwischen tot sein. Dennoch wollte Judas alles versuchen.
Judas hatte ein weicheres Herz, als er anderen gegenüber zugab. Da er jeden Gedanken an die Gründung einer eigenen Familie um des Wegs eines Zeloten willen aufgegeben hatte, hing er an seinen Nichten und Neffen. Die zwölf Jahre alte Smedia, das kranke Mädchen, war ihm die Liebste von allen.
Isa erkannte Judas’ Furcht, das Kind zu verlieren, und schaute Maria Magdalena an. »Kannst du heute Abend noch einen Weg machen?«
Maria nickte. Natürlich konnte sie. In dem Haus würde eine trauernde Mutter sein, und Maria wollte ihr auf jede erdenkliche Art beistehen.
»Dann gehen wir«, sagte Isa schlicht. In solchen Fällen zögerte er nie, das wusste Maria. Die späte Stunde oder seine Müdigkeit spielten keine Rolle. Er würde nie einem Menschen seine Hilfe verweigern. Niemals.
Judas folgte ihnen nach draußen und schaute Maria zum Abschied dankbar an. Sein Blick wärmte sie. Vielleicht wird Judas nun ganz zum Rechten Weg finden, dachte sie, eine Hoffnung, die in ihrem Herzen immer noch stark war.
Jairus hatte innerhalb der Gemeinde eine Sonderstellung. Er war Pharisäer und einer der geistlichen Führer im Tempel, allerdings auch Verbindungsmann des römischen Prokurators. Als solcher traf er wöchentlich mit Pontius Pilatus zusammen, um für eine friedliche, reibungslose Zusammenarbeit des Tempels und der Jerusalemer Juden mit Rom zu sorgen.
Die besondere Beziehung zwischen Jairus und Pilatus war von gegenseitiger Achtung geprägt, und sie pflegten bei Wein und einer Partie Brettspiel stundenlang über Politik zu diskutieren. Rachel, die Ehefrau des Jairus, begleitete ihn häufig zur Festung Antonia und verbrachte dann die Zeit mit Pilatus’ Frau Claudia Procula. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft gedieh die Freundschaft zwischen den beiden Frauen. Claudia war von Geburt eine adelige Römerin, Enkelin des einen Kaisers und Lieblingsstieftochter des anderen; Rachel hingegen war Jüdin aus einer der vornehmsten jüdischen Familien. Doch diese beiden so unterschiedlichen Frauen hatten gemeinsam, dass sie mit mächtigen Männern verheiratet und überdies Mütter waren.
Oft begleitete Rachels Tochter Smedia die Mutter in die Festung. Smedia spielte gern in den prächtigen Zimmern, und als sie älter wurde, erlaubte ihr Claudia, ihre Schönheitswässer und Schminken zu benutzen. Bereits im Alter von zwölf war zu sehen, dass sie sich zu einer sehr schönen Frau entwickeln würde.
Claudia mochte Smedia besonders gern, weil das Mädchen Spielgefährtin ihres eigenen Kindes war. Pilo, der siebenjährige Sohn des Pilatus und der Claudia Procula, war in Jerusalem weitgehend
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