Das Magdalena-Evangelium: Roman
Aristokratin, sprach fließend Griechisch.
Sie verstand jedes Wort, das einer der Männer zu seinem Gefährten sagte. »Solange der Nazarener am Leben ist, wird es keinen Frieden geben. Je schneller wir ihn loswerden, desto besser für uns alle.«
Auf dem Marktplatz traf Maria Bartholomäus; er war in die Stadt geschickt worden, um Proviant für die anderen Jünger einzukaufen. Maria trug ihm auf, zu Isa und seinen Anhängern zu gehen und ihnen auszurichten, dass sie heute Nacht nicht im Haus des Josef bleiben sollten. Zu Isas Sicherheit müssten sie Jerusalem verlassen. Maria war der Ansicht, dass sie im Haus von Lazarus und Martha besser geschützt seien. Bethanien lag in sicherer Entfernung von Jerusalem, aber wenn man wollte, konnte man schnell zur Stadt gelangen – und ebenso schnell wieder hinaus.
Später am Abend kam Isa zu Maria und den Kindern nach Bethanien. Einige der Jünger blieben im Hause des Lazarus, während andere zu seinem Nachbarn Simon gingen, einem vertrauten Freund – jenem Simon, in dessen Haus Maria vor Jahren ihren Ungehorsam gegen Lazarus und Johannes begangen hatte. Dort versammelten sich am Abend die Jünger, um die Ereignisse des Tages zu besprechen und mögliche Folgen zu diskutieren.
Maria machte sich große Sorgen. Sie spürte, dass die Volksmeinung in Jerusalem geteilt war; einerseits bewunderte man den Nazarener als Wundertäter und Fürsprecher der Armen, andererseits verurteilte man ihn als Aufrührer, der dreist den Tempel und die Überlieferung angriff. Maria erzählte von dem Gespräch der Pharisäer, das sie auf dem Marktplatz belauscht hatte. Währenddessen traf Judas aus dem Hause des Jairus mit weiteren Neuigkeiten ein.
»Sie hat recht. Jerusalem wird für dich zu gefährlich«, sagte er zu Isa. »Jairus sagt, Kaiphas und Hannas fordern deine Hinrichtung, weil du ein Gotteslästerer bist.«
Petrus spuckte angewidert aus. »So ein Unsinn! Isa hat nie eine blasphemische Äußerung getan. Er wäre dazu gar nicht imstande. Diese Schlangen sind die wahren Gotteslästerer!«
Isa wirkte nicht betroffen. »Es spielt auch keine Rolle, Petrus. Die Priester haben nicht das Recht, einen Menschen hinzurichten«, führte er aus und bewies damit einmal mehr seine umfassende Kenntnis des Gesetzes. »Das darf nur Rom, und die Römer erkennen die jüdischen Gebote bezüglich Gotteslästerung nicht an.«
Die Männer redeten bis tief in die Nacht über die beste Vorgehensweise für den nächsten Tag. Maria wollte nicht, dass Isa sich am nächsten Tag in der Stadt zeigte; erst sollten sich die Wogen ein wenig glätten. Aber Isa wollte nichts davon hören. Die Nachricht von seiner kühnen Predigt und seinen außergewöhnlichen Heilkünsten hatte sich verbreitet, und morgen wurdennoch mehr Menschen erwartet. Isa wollte nicht diejenigen enttäuschen, die von weither angereist waren, nur um ihn zu sehen. Auch wollte er sich nicht dem Druck der Hohepriester beugen. Jetzt, mehr als je zuvor, musste er den Menschen ein Führer sein.
Am nächsten Morgen beschloss Maria, mit den Kindern bei Martha in Bethanien zu bleiben. Die Schwangerschaft setzte ihr mehr und mehr zu; schon der Weg von Jerusalem nach Bethanien hatte sie erschöpft. Sie gab den Kindern Arbeiten im Hause zu tun, während sie versuchte, jeden Gedanken an die Gefahren zu vermeiden, denen Isa in der Stadt ausgesetzt sein mochte.
Maria saß gerade im Garten vor dem Haus und sah der kleinen Tamar beim Spielen zu, als sie eine schwarz verschleierte Frau auf sich zukommen sah. Gesicht und Haar der Besucherin waren bedeckt, und es war unmöglich zu erkennen, ob sie eine Bekannte war oder nicht. Vielleicht eine Freundin von Martha oder eine Nachbarin, die Maria noch nicht kennen gelernt hatte?
Die Frau kam näher, und Maria vernahm gedämpftes Lachen. »Was ist, Schwester? Erkennst du mich nach dieser langen Zeit nicht mehr?« Und der Schleier fiel und enthüllte Salome, die Tochter der Herodias. Ihr Gesicht hatte seine kindlichen Rundungen verloren; Salome war zu einer voll erblühten jungen Frau geworden. Maria lief auf sie zu und umarmte sie. Eine lange Minute hielten sich die beiden Frauen umschlungen. Nach Johannes’ Tod war es für Salome zu gefährlich geworden, in der Gesellschaft der Nazarener gesehen zu werden. Ihre Anwesenheit brachte Isa in Gefahr. Wenn die Nazarener hofften, Johannes’ Anhänger zu gewinnen, durfte man sie nicht mit der Frau sehen, der man seine Verhaftung anrechnete, wenn nicht gar seinen
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