Das Magdalena-Evangelium: Roman
Künstler und Regisseur Jean Cocteau – auch ein Mitglied der Blauen Äpfel – ins Filmgeschäft reingerochen hatte, ging sie nach Los Angeles, um als Kostümbildnerin zu arbeiten. Dort hat sie meinen Vater kennen gelernt und ist geblieben. Ihre Mutter ist dann zu uns gekommen und hat bei uns gelebt, als ich noch ein Kind war. Ich brauche es wohl nicht zu sagen, wie sehr ich durch meine Großmutter beeinflusst worden bin.«
Roland drehte sich um und zeigte auf die beiden Stühle. »In unserer Tradition sind Mann und Frau vollkommen gleichgestellt, so wie Jesus es uns am Beispiel von Maria Magdalena gezeigt hat. Die Gesellschaft wird von einem Großmeister geleitet, aber auch von einer Hohen Maria. Ich habe Tamara zu meiner Maria erwählt; sie soll neben mir auf dem Thron sitzen. Jetzt muss ich sie nur noch dazu bewegen, dass sie ganz nach Frankreich zieht, damit ich sie fragen kann, ob sie in meinem Leben noch eine andere Rolle einnehmen will.«
Er legte seinen Arm um Tammy, die sich an ihn schmiegte. »Ich denk drüber nach«, sagte sie kokett.
In diesem Augenblick kamen zwei Diener in die Halle und brachten silberne Kaffeetabletts. Am einen Ende des Raumsstand ein Konferenztisch, und Roland lud sie nun ein, Platz zu nehmen. Tammy goss den starken schwarzen Kaffee ein. Roland schaute Sinclair an, der ihm gegenübersaß, und bedeutete ihm mit einem Kopfnicken zu beginnen.
»Maureen, wir werden Ihnen sagen, was wir über Father Healy und das Magdalena-Evangelium wissen; wir glaubten nur, dass Sie erst die Hintergründe erfahren müssten, um die Gesamtsituation zu verstehen.«
Dankbar schlürfte Maureen den starken heißen Kaffee. Aufmerksam hörte sie Sinclair zu.
»Tatsache ist, dass wir Ihrem Cousin gestatteten, die Schriftrollen an sich zu nehmen.«
Maureen ließ fast ihre Tasse fallen. »Sie haben es gestattet?«
»Ja. Roland hat das Arbeitszimmer absichtlich offen gelassen. Wir hatten schon den Verdacht, dass Father Healy die Rollen zu seinem Auftraggeber bringen wollte.«
»Moment mal! Welcher Auftraggeber? Was wollen Sie damit andeuten? Dass Peter so eine Art Spion für die Kirche ist?«
»Nicht ganz«, erwiderte Sinclair. Maureen fiel auf, dass Tammy ebenso fasziniert lauschte – auch sie war demnach noch nicht in alles eingeweiht. »Wir wissen nicht genau, in wessen Auftrag er handelt; deshalb haben wir zugelassen, dass er die Rollen nimmt, und machen uns auch nicht übermäßig Sorgen. Noch nicht. An Ihrem Mietwagen befindet sich nämlich ein Routen-Kontrollgerät. Wir sind also informiert, wo er sich im Moment befindet und wohin er fährt.«
»Wohin denn?«, fragte Tammy. »Nach Rom?«
»Wir glauben, eher nach Paris«, sagte Roland.
»Maureen.« Sinclair legte seine Hand auf ihren Arm. »Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber Ihr Cousin hat seit dem Tag Ihrer Ankunft in Frankreich alle Ihre Aktivitäten an jemanden innerhalb der Kirche gemeldet, und wahrscheinlich geht das schon länger so.«
Maureen schwindelte – sie hatte das Gefühl, als hätte manihr ins Gesicht geschlagen. »Das ist unmöglich! Peter würde mir so etwas niemals antun.«
»Während der letzten Woche, als wir ihm bei der Arbeit zugesehen haben und ihn besser kennen lernten, ist es auch uns zunehmend schwer gefallen, Ihren reizenden und gelehrten Cousin als Spion zu sehen. Ursprünglich glaubten wir, dass er nur versuchen wollte, Sie vor uns zu schützen. Doch ich fürchte, dass er sich zu tief in die Abhängigkeit von seinen Auftraggebern begab, um sich davon zu befreien – selbst nachdem er in den Schriftrollen die Wahrheit gelesen hatte.«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Glauben Sie, dass er für den Vatikan arbeitet? Für die Jesuiten? Oder für wen?«
Sinclair lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Das weiß ich noch nicht, aber ich kann Ihnen versichern, dass auch wir unsere Leute in Rom haben, die sich darum kümmern. Sie würden überrascht sein, wie hoch unser Einfluss reicht. Ich bin sicher, dass wir morgen Abend, spätestens übermorgen, Bescheid wissen. Im Augenblick müssen wir einfach nur Geduld haben.«
Maureen nahm noch einen Schluck Kaffee und starrte auf das Porträt der Maria Magdalena als Büßerin. Es würde also fast vierundzwanzig Stunden dauern, bis sie alle ihre Antworten bekam.
Paris
1. Juli 2005
Father Peter Healy war über die Maßen erschöpft, als er Paris erreichte. Die Fahrt vom Languedoc war anstrengend gewesen. Obwohl er den morgendlichen Berufsverkehr
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