Das Magdalena-Evangelium: Roman
mich zu verraten?«
»Ich kann nicht behaupten, über Father Healys Motive unterrichtet zu sein. Aber Motive hatte er auf jeden Fall. Ich nehme an, dass wir vor morgen Abend die Wahrheit erfahren werden.«
»Würde mir bitte mal jemand sagen, was hier los ist?«, schaltete sich Tammy ein, die, wie Maureen jetzt erkannte, auch ziemlich ahnungslos war. Roland saß neben ihr und ertrug ihren anklagenden Blick. »Anscheinend hast du ’ne ganze Menge vor mir geheim gehalten«, fauchte sie den Hünen an.
Roland hob seine gewaltigen Schultern. »Es war zu deinem eigenen Schutz, Tamara. Wir alle hüten Geheimnisse, wie du sehr wohl weißt. Und diese Geheimnisse waren notwendig. Doch nun ist es wohl an der Zeit, dass wir sie offenlegen. Es ist nur fair gegenüber Mademoiselle Paschal, dass sie alles erfährt. Denn sie hat sich unserer Sache mehr als würdig erwiesen.«
Maureen hätte vor Nervosität und Verwirrung schreien mögen. Die Verzweiflung musste ihr vom Gesicht abzulesen sein, denn Roland beugte sich vor und nahm ihre Hand. »Kommen Sie mit, Mademoiselle. Ich muss ihnen etwas zeigen.« Dann wandte er sich an Sinclair und Tammy und tat etwas, das Maureen nie zuvor bei ihm erlebt hatte – er erteilte Befehle. »Berenger,lassen Sie die Diener Kaffee bringen, und kommen Sie in den Großmeistersaal nach. Tamara, du kommst mit uns.«
Sie schritten durch die gewundenen Korridore in einen Flügel des Châteaus, den Maureen nicht kannte.
»Ich muss Sie bitten, ein wenig Geduld zu haben, Mademoiselle Paschal«, sagte Roland über die Schulter hinweg zu ihr. »Ich muss erst ein paar Dinge erklären, bevor ich Ihre dringlichsten Fragen beantworten kann.«
»Okay«, sagte Maureen, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte; ziemlich benommen von der jüngsten Entwicklung, trottete sie Roland und Tammy hinterher. Sie erinnerte sich an jenen Tag in Südkalifornien, als sie sich mit Tammy am Jachthafen getroffen hatte. Eine Ewigkeit schien seitdem vergangen zu sein – und wie naiv war sie damals gewesen! Tammy hatte sie mit Alice im Wunderland verglichen. Und wie passend erschien ihr nun dieser Vergleich, hatte sie doch das Gefühl, durch einen Spiegel getreten zu sein. Alles, was sie über ihr Leben zu wissen glaubte, hatte sich in sein Gegenteil verkehrt.
Roland schloss die gewaltige Doppeltür mit einem Schlüssel auf, den er an einer Kette um den Hals trug. Als sie den Raum betraten, ertönte ein schrilles Signal, das Roland rasch mit der Eingabe eines Kodes auf einem Zahlenfeld neben der Tür zum Verstummen brachte. Nachdem er das Licht angeschaltet hatte, sah Maureen eine riesige, prunkvolle Halle, einen Versammlungsort, der Königen angemessen war. Tatsächlich erinnerte die Pracht an die Thronsäle von Versailles und Fontainebleau. Zwei hölzerne, vergoldete Armstühle standen mitten im Raum auf einem Podest, jeder Stuhl war kunstvoll mit geschnitzten blauen Äpfeln verziert.
»Dies ist das Herz unserer Organisation«, erklärte Roland. »Der Gesellschaft der Blauen Äpfel. Jedes Mitglied entstammtder königlichen Blutlinie, insbesondere der Sarah-Tamar-Linie. Wir sind Nachkommen der Katharer und tun unser Bestes, ihre Traditionen in ihrer reinsten Form lebendig zu erhalten.«
Er führte sie zu einem Porträt der Maria Magdalena, das hinter den thronartigen Stühlen hing. Es ähnelte der Magdalena von Georges de la Tour, die Maureen in Los Angeles gesehen hatte, allerdings gab es einen bedeutenden Unterschied. »Erinnern Sie sich an den Abend, als Berenger Ihnen erzählte, dass eines der bedeutendsten Gemälde von de la Tour vermisst würde und in keinem Museum zu sehen sei? Das liegt daran, dass es hier ist.« Er wies auf das Bild. »De la Tour gehörte zu unserer Gesellschaft, und er hat uns dieses Bild hinterlassen. Es wird Büßende Magdalena mit dem Kreuz genannt.«
Maureen starrte das Porträt voller Ehrfurcht und Bewunderung an. Wie alle Werke des französischen Malers war es ein Meisterwerk von Licht und Schatten. Doch in diesem Gemälde wurde die Magdalena anders dargestellt als in allen anderen Bildern, die Maureen gesehen hatte. Hier legte Maria ihre Linke auf den Schädel – den Maureen nun als Schädel Johannes des Täufers kannte –, während sie in der rechten Hand ein Kreuz hielt und Jesu Gesicht anschaute.
»Dieses Bild war zu gefährlich für die Allgemeinheit. Für den, der sehen kann, ist die Anspielung zu deutlich: Maria tut Buße für Johannes, ihren ersten Ehemann, und schaut
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