Das Magdalena-Evangelium: Roman
verehrten Freund, Kardinal DeCaro, vorstellen?«
DeCaro reichte zuerst Maureen die Hand, dann Tammy. Er schenkte beiden Frauen ein warmes Lächeln. »Es freut mich, Sie kennen zu lernen.« Er machte eine Handbewegung zu Maureen und fragte Roland: »Dies ist die Verheißene?«
Roland nickte.
»Entschuldigung, sagten Sie ›Kardinal‹?«, fragte Maureen.
»Lassen Sie sich nicht von seiner schlichten Kleidung täuschen«, sagte Sinclair hinter ihr. »Kardinal DeCaro besitzt großen Einfluss im Vatikan. Und vielleicht wird sein vollständiger Name Ihnen ein wenig weiterhelfen. Er lautet Francesco Borgia DeCaro.«
»Borgia?«, rief Tammy aus.
Der Kardinal nickte, eine schlichte Antwort auf Tammys unausgesprochene Frage. Roland zwinkerte ihr von der anderen Seite des Zimmers aus zu.
»Seine Eminenz würde gern eine Zeit lang mit Mademoiselle Paschal allein bleiben, deshalb werden wir jetzt nicht weiter stören«, bestimmte Roland. »Wenn Sie einen Wunsch haben, läuten Sie bitte.«
Roland hielt Sinclair und Tammy die Tür auf, währendKardinal DeCaro Maureen bedeutete, an dem Mahagonitisch Platz zu nehmen. »Signorina Paschal, zunächst möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich Ihren Cousin gesprochen habe.«
Nun war Maureen erschrocken. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber das ganz bestimmt nicht. »Wo ist Peter?«
»Auf dem Weg nach Rom. Ich habe ihn heute Morgen in Paris getroffen. Es geht ihm gut, und die Dokumente, die Sie entdeckt haben, sind in Sicherheit.«
»Wo denn? Und bei wem? Was …«
»Geduld, ich werde Ihnen alles berichten. Aber zuerst möchte ich Ihnen etwas anderes zeigen.«
Der Kardinal griff in seinen Diplomatenkoffer und holte einige rote Aktenhefter heraus. Sie waren mit EDOUARD PAUL PASCHAL beschriftet.
Maureen schnappte nach Luft, als sie die Aufschrift sah. »Das ist der Name meines Vaters!«
»Ja. Und in diesen Akten werden Sie Fotografien Ihres Vaters finden. Aber ich muss Sie vorbereiten. Was Sie sehen werden, könnte Sie erschrecken, es ist aber wichtig, dass Sie es verstehen.«
Maureen klappte den obersten Ordner auf – und er entglitt ihren zitternden Händen. Kardinal DeCaro erläuterte die Bilder, während sie zögernd die grässlichen Wunden ihres Vaters betrachtete.
»Er war ein Stigmatisierter. Wissen Sie, was das bedeutet? An seinem Körper zeigten sich die Wundmale Christi. An seinen Handgelenken und seinen Füßen und an einer fünften Stelle, unterhalb der Rippen – der Stelle, wo der römische Zenturio unseren Herrn mit seiner Lanze verletzte.«
Maureen starrte sprachlos auf die Fotos. Fünfundzwanzig Jahre währende Vermutungen über die angebliche »Krankheit« ihres Vaters hatten sein Bild beschädigt. Nun fand alles seinen Platz: die Angst und Feindseligkeit ihrer Mutter, ihr Hass auf die Kirche. Und es war die Erklärung für den Brief ihres Vatersan Gelis, der im Château aufbewahrt wurde. Er hatte wegen seiner Stigmata an Gelis geschrieben – und weil er sein Kind vor demselben grausamen Schicksal bewahren wollte. Durch einen Schleier von Tränen sah Maureen den Kardinal an.
»Ich – man hat mir immer gesagt, dass er sich das Leben nahm, weil er geistesgestört war. Meine Mutter sagte, dass er verrückt war, als er starb. Ich hatte keine Ahnung, niemand hat mir jemals so etwas gesagt …«
Der Kleriker nickte ernst. »Ihr Vater ist von sehr vielen Menschen missverstanden worden, fürchte ich. Selbst von denjenigen, die ihm eigentlich hätten helfen können, von seiner eigenen Kirche. Und hier kommt Ihr Cousin ins Spiel.«
Maureen schaute auf, lauschte voller Aufmerksamkeit. Sie fühlte eiskalte Schauer über ihren Rücken jagen, während sie dem Kardinal zuhörte.
»Ihr Cousin ist ein guter Mensch, Signorina. Ich glaube, wenn Sie mich erst einmal angehört haben, werden Sie ihn nicht für das Vergangene verurteilen. Aber verstehen Sie, wir müssen mit der Zeit beginnen, als Sie ein Kind waren. Als bei Ihrem Vater die Wundmale auftauchten, ging er zu einem Priester seiner Diözese – doch dieser Priester gehörte einer schismatischen Organisation innerhalb der Kirche an. Wir Kirchenmänner sind nicht anders als die anderen – wir sind auch nur Menschen. Und während die meisten von uns sich dem Weg des Guten verschrieben haben, gibt es andere, die um jeden Preis einen gewissen Glauben schützen wollen.
Der Fall Ihres Vaters hätte sofort in Rom vorgebracht werden müssen, doch dies geschah nicht. Wir hätten ihm geholfen, wir hätten
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