Das Magdalena-Evangelium: Roman
sollten uns im Voraus wissen lassen, wenn Sie etwas in dieser Größe erwarten.«
»Lieferung? Was für eine Lieferung? Ich habe nichts erwartet.«
»Nun, sie war jedenfalls eindeutig für Sie bestimmt. Sie müssen einen großen Bewunderer haben.«
Verwirrt dankte Maureen dem Mann und nahm den Aufzug in den elften Stock. Als die Aufzugtür sich öffnete, schlug ihr der berauschende Duft von Blumen entgegen. Der Duft verstärkte sich noch um das Zehnfache, als sie die Tür zu ihrer Eigentumswohnung öffnete und nach Luft schnappte.
Sie konnte ihr Wohnzimmer vor lauter Blumen nicht mehrsehen. Überall standen Blumenarrangements, einige groß und auf Sockeln, andere in Kristallvasen auf den Tischen. Sie alle enthielten Variationen ein und desselben Themas: volle rote Rosen, Callalilien und üppige weiße Casablancalilien. Die Lilien standen in voller Blüte, und sie waren auch die Quelle des berauschenden Dufts im Raum.
Maureen musste nicht nach einer Karte suchen. Sie steckte in einem riesigen Gemälde mit vergoldetem Rahmen, das an der gegenüberliegenden Seite ihres Wohnzimmers lehnte. Das Bild zeigte eine klassische Schäferszene. Drei Hirten waren dort zu sehen, in Togen gehüllt und mit Lorbeer gekrönt. Sie hatten sich um ein großes steinernes Objekt versammelt, das ein frei stehendes Grab zu sein schien, und deuteten auf eine Inschrift. Im Mittelpunkt des Bildes stand jedoch eine Frau, eine rothaarige Schäferin, welche die Anführerin der drei zu sein schien.
Ihr Gesicht wies eine geradezu unheimliche Ähnlichkeit mit ihrem eigenen auf.
»Les Berges d ’Acardie.« Peter las die Inschrift auf der Messingplakette im unteren Teil des Rahmens. Die hervorragende Kopie in Maureens Wohnzimmer hatte ihn sichtlich beeindruckt. »Es ist von Nicholas Poussin, einem französischen Barockmeister. Ich habe das Original gesehen. Es hängt im Louvre.«
Maureen war erleichtert, dass er so rasch gekommen war. Peter fuhr fort: »Übersetzt heißt das: ›Die Hirten von Arkadien‹.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich mich zutiefst geschmeichelt fühlen oder in Panik ausbrechen soll. Bitte, sag mir, dass die Hirtin im Original nicht so aussieht, als hätte ich für sie Modell gestanden.«
Peter lachte leise. »Nein, nein. Das scheint ein Zusatz des Kopisten zu sein … oder des Absenders. Wer ist …?«
Maureen schüttelte den Kopf und reichte Peter einen großenUmschlag. »Er stammt von jemandem mit Namen Sinclair Irgendwas. Keine Ahnung, wer das ist.«
»Ein Fan vielleicht? Ein Stalker? Irgendein Irrer, der nach der Lektüre deines Buches aus dem Unterholz gekrochen ist?«
Maureen lachte nervös. »Könnte sein. Mein Verleger hat in den letzten Monaten ein paar sehr seltsame Briefe für mich bekommen.«
»Fanbriefe oder Hassbriefe?«
»Beides.«
Peter holte den Brief aus dem großen Umschlag. Er war in kunstvoller Handschrift und auf elegantem Pergament geschrieben. Eine gravierte Lilie, seit Jahrhunderten das Symbol europäischer Königshäuser, zierte das Pergament, und vergoldete Buchstaben am Fuß der Seite benannten den Verfasser als Berenger Sinclair . Peter setzte seine Lesebrille auf und las laut vor:
Meine liebe Ms. Paschal,
bitte, verzeihen Sie mein Eindringen; aber ich glaube, dass ich die Antworten habe, nach denen Sie suchen … und Sie haben einige, nach denen ich suche. Falls Sie den Mut aufbringen, zu Ihrem Glauben zu stehen und sich an einer Expedition zur Wahrheitsfindung zu beteiligen, dann hoffe ich, dass Sie sich zur Sommersonnenwende in Paris zu mir gesellen werden. Magdalena persönlich bittet um Ihre Anwesenheit. Enttäuschen Sie sie nicht. Vielleicht ist dieses Gemälde ja dazu angetan, Ihr Unterbewusstsein zu stimulieren. Betrachten Sie es als eine Art Karte – eine Karte zu Ihrer Zukunft und vielleicht auch zu Ihrer Vergangenheit.
Ich vertraue voll und ganz darauf, dass Sie dem großen Namen Paschal Ehre erweisen werden, so wie es auch Ihr Vater versucht hat.
Hochachtungsvoll
Berenger Sinclair
»Der große Name Paschal? Dein Vater?«, hakte Peter nach. »Was soll das? Was denkst du?«
»Keine Ahnung.« Maureen versuchte, das Ganze zu verarbeiten. Die Erwähnung ihres Vaters beunruhigte sie, doch sie wollte nicht, dass Peter etwas davon merkte. Ihre Antwort fiel schnodderig aus.
»Du weißt doch über die Familie meines Vaters Bescheid. Sie stammt aus den Sümpfen Louisianas. Was Großes hat sie ganz bestimmt nicht, eher was Durchgeknalltes.«
Peter schwieg und
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