Das Magdalena-Evangelium: Roman
eine Tonne von Theorien zu ihm. Manche behaupten, er sei der Dämon Asmodeus, der Wächter der Geheimnisse und verborgenen Schätze. Andere glauben, er stelle nach katharischer Tradition den Rex Mundi dar – was ich persönlich übrigens auch glaube.«
»Rex Mundi. Der König der Welt?«, übersetzte Peter.
Tammy nickte und erklärte Maureen: »Die Katharer haben dieses Land im Mittelalter beherrscht. Erinnert euch: Seit 1059 gibt es eine Kirche hier, und zu dieser Zeit befand sich die Katharerbewegung auf ihrem Höhepunkt. Sie haben geglaubt, dass ein niederes Wesen der Wächter der irdischen Ebene sei, ein Dämon, den sie Rex Mundi nannten – den König der Welt. Unsere Seelen befinden sich in einem ständigen Kampf gegen Rex, um das Königreich Gottes zu erreichen, das Reich des Geistes. Rex repräsentiert alle irdischen und körperlichen Versuchungen.«
»Aber was hat er in einer geweihten katholischen Kirche verloren?«, fragte Peter.
»Natürlich wird er von den Engeln vernichtet. Schau mal über ihn.« Statuen von vier Engeln, die zusammen ein Kreuz bildeten, schwebten über dem Rücken des Dämons, gestützt auf ein Weihwasserbecken in Form einer riesigen Jakobsmuschel.
Peter las laut die Inschrift vor und übersetzte sie dann ins Englische: » Par ce signe tu le vaincrais – In diesem Zeichen sollst du siegen.«
»Das Gute besiegt das Böse. Der Geist siegt über die Materie.Engel triumphieren über Dämonen. Unorthodox? Ja, aber très Saunière .« Tammy strich mit der Hand über den Hals des Dämons. »Seht ihr das? Vor ein paar Jahren ist jemand in die Kirche eingebrochen und hat Rex den Kopf abgeschlagen. Das ist nur eine Replik. Niemand weiß, ob ein Souvenirjäger oder ein wütender Katholik dafür verantwortlich war, der ein dualistisches Symbol an solch einem heiligen Ort einfach nicht ertragen konnte. Meines Wissens nach ist er die einzige Dämonenfigur in einer katholischen Kirche. Stimmt das, Padre?«
Peter nickte. »Ich habe zumindest noch nie von etwas Vergleichbarem in einer römisch-katholischen Kirche auch nur gehört. Dem Wesen nach ist es schlicht Gotteslästerung.«
»Die Katharer waren die vorherrschende Religion in diesem Gebiet, und sie waren Dualisten«, erklärte Tammy. »Sie glaubten an zwei einander entgegengesetzte göttliche Kräfte, eine gute, die auf die Reinigung und Befreiung des Geistes hinwirkte, und eine böse, die an die verderbte materielle Welt gefesselt war. Schaut euch den Boden hier an.«
Sie lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Fliesen, die den Kirchenboden bildeten. Sie waren ebenholzfarben und schneeweiß, angeordnet in einem Schachbrettmuster. »Noch eine Konzession Saunières an die Dualität – Schwarz und Weiß, Gut und Böse. Noch mehr exzentrisches Design. Ich glaube, ehrlich gesagt, dass Saunière schlicht verrückt war. Er ist nur ein paar Meilen von hier entfernt geboren worden, und so verstand er die hiesige Mentalität. Er wusste, dass seine Gemeinde von den Katharern abstammte, und sie hatten gute Gründe, Rom zu misstrauen, selbst nach all diesen Jahrhunderten. Das soll jetzt keine Beleidigung sein, Padre.«
»Kein Problem«, erwiderte Peter. Allmählich gewöhnte er sich an Tammys Sticheleien. Alles in allem betrachtet, schienen sie freundlich gemeint zu sein, und sie machten ihm nichts aus. Tatsächlich wurde ihm Tammys Spleen sogar immer sympathischer. »Die Kirche ist mit der katharischen Häresie äußersthart umgegangen. Ich kann durchaus verstehen, wenn die Einheimischen sich davon noch immer betroffen fühlen.«
Tammy drehte sich zu Maureen um. »Das war der einzige offizielle Kreuzzug in der Geschichte, in dem Christen andere Christen getötet haben. Die Armee des Papstes hat die Katharer massakriert, und das hat man hier nie vergessen. Also hat Saunière offen katharische und gnostische Elemente der Kirche hinzugefügt und so eine Umgebung geschaffen, in der sich seine Herde wohl fühlen konnte, was wiederum zu einer höheren Zahl von Kirchenbesuchen führen sollte. Es hat funktioniert. Die Einheimischen liebten ihn so sehr, dass sie ihn schon fast verehrten.«
Peter ging durch die Kirche und nahm alles auf. Jedes einzelne Schmuckelement konnte man geradezu als bizarr bezeichnen. Alles war knallbunt, übertrieben und mit Sicherheit unkonventionell. Es gab bemalte Gipsstatuen von unwahrscheinlichen Heiligen wie dem obskuren St. Rochus, der seine Tunika hob, um das verletzte Bein zu entblößen, oder St. Germaine, die in
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