Das Magdalena-Evangelium: Roman
ist unmöglich, dass er uns sieht.«
»Könntest du das ein bisschen näher ausführen?«
Derek lachte. »Noch nicht. Es ist schon schlimm genug, dass ich dieses Risiko überhaupt auf mich nehme. Weißt du, welche Strafe mich erwartet, wenn ich erwischt werde?«
Tammy schüttelte den Kopf. »Nein. Was? Doppelt so lange geheime Probezeit?«
Er blickte sie von der Seite her an. »Du kannst so viele Witze machen, wie du willst, aber diese Jungs spielen nicht.« Er fuhr sich mit dem rechten Zeigefinger über den Hals.
»Das meinst du doch nicht ernst.«
»O doch. Menschen, die nicht zu uns gehören, Ordensgeheimnisse zu verraten, darauf steht der Tod.«
»Ist das je vorgekommen? Oder ist das nur so ein Popanz, den sie geschaffen haben, um dieses ganze Geheimgesellschaftsmysterium zu vergrößern und ihre Mitglieder zu kontrollieren?«
»Es gibt einen neuen Lehrer der Gerechtigkeit – so nennen wir unseren Führer –, und der Kerl ist extrem.«
Einen Augenblick lang dachte Tammy ernsthaft darüber nach. Derek hatte ihr seine Ordensmitgliedschaft vor ein paar Jahren im Suff gestanden, sich dann jedoch verschlossen und geweigert, weiter darüber zu sprechen. Vergangene Nacht auf der Party hatte sie ihn dann ein wenig beschwatzt. Schließlich hatte die Mischung aus Alkohol und dem Verlangen nach ihr ihn dazu gebracht, ihr zu verraten, dass ihr Hauptquartier am Rande von Carcassonne lag. Er hatte ihr sogar offeriert, sie heute ins innere Heiligtum zu führen. Aber falls ihm das mit den Konsequenzen seiner Tat wirklich ernst war, dann war das etwas, das Tammy nicht auf ihrem Gewissen haben wollte.
»Hör zu, Derek, wenn das wirklich so gefährlich ist, will ich dich nicht drängen, das zu tun. Wirklich nicht. Ich kann genauso gut irgendeine anonyme Quelle angeben, wenn ich den Orden in meinem Projekt erwähne. Lass uns einfach nach Carcassonne zurückfahren und zu Mittag essen. Dort in der Sicherheit eines Cafés und am helllichten Tag kannst du mir ja ein paar Brocken zuwerfen.«
Da. Sie hatte ihm einen leichten Ausweg eröffnet. Er überraschte sie, indem er nicht darauf einging.
»O nein. Ich will dir das zeigen. Tatsächlich kann ich es gar nicht mehr erwarten.«
Die Leidenschaft in seiner Stimme machte Tammy nervös. »Warum?«
»Das wirst du schon sehen.«
Derek parkte hinter einer Hecke, mehrere hundert Meter hinter dem Eingang zum Ordensgelände. Vorsichtig gingen sie die Straße hinunter und bogen in eine schmale, ungepflasterte Gasse ein. Die gingen sie gut dreißig Meter entlang, bis die Kapelle in Sichtweite kam, die Kirche, in der die Ordensmitglieder vergangene Nacht ihren Gottesdienst abgehalten hatten.
»Das ist die Kirche. Wenn du sie sehen willst, können wir später reingehen.«
Tammy nickte. Sie war es zufrieden, ihm zu folgen. Sie kannte Derek schon seit Jahren, aber er war stets nur ein flüchtiger Bekannter gewesen. Nun musste sie jedoch erkennen, dass sie ihn bei weitem nicht gut genug kannte, um seine wahren Motive auch nur zu erahnen. Ursprünglich hatte sie gedacht, sie wären recht primitiv: männliche Instinkte, und mit denen konnte sie fertig werden. Aber plötzlich zeigte er eine ungeahnte Entschlossenheit. Das machte ihr Angst. Gott sei Dank wussten sowohl Sinclair als auch Roland, wo sie war.
Derek führte sie zu einem langen Bungalow hinter der Kirche, holte einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür. Das unauffällige Äußere des Gebäudes bereitete Tammy nicht auf die schiere Größe und das reich geschmückte Innere der Ordenshalle vor. Alles war vergoldet, und jeder Quadratzentimeter Wand war mit Kunstwerken behangen, jedes die Kopie eines Gemäldes von Leonardo da Vinci. An der gegenüberliegenden Seite, der, die man als erste sah, wenn man den Raum betrat, hingen zwei verschiedene Versionen von da Vincis Johannes dem Täufer.
»Mein Gott«, flüsterte Tammy, »dann ist es also wahr. Leonardo war ein Johanniter. Ein Ketzer.«
Derek lachte. »Nach welchen Maßstäben? Soweit es den Orden betrifft, sind diejenigen, die Jesus von Nazareth folgen, die wahren Ketzer. Wir nennen ihn den ›Lügenmann‹ und den ›Gottlosen Priester‹.« Derek machte eine weit ausholende Geste und sprach auf so großspurige Art, wie Tammy ihn noch nie gehört hatte. »Leonardo da Vinci war in seiner Zeit der Lehrer der Gerechtigkeit, der Führer unseres Ordens. Er hat geglaubt, dass Johannes der Täufer der wahre Messias gewesen sei und dass Jesus ihm diese Position durch die
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