Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
auf.«
»Und zwar?«
»Warum lügt sie? Und warum musste sie so einen Auftritt hinlegen, um dich aufzusuchen?« Berenger schwieg einen Moment, und Maureen hörte seinen Atem, während er nachdachte. Dann fuhr er fort:
»Ich kenne die Antwort nicht, aber ich versichere dir, dass ich alles daransetzen werde, es herauszubekommen. Es tut mir leid, dass du in diese Geschichte hineingezogen wurdest. Glaub mir: Ich werde nicht zulassen, dass sich irgendetwas oder irgendwer zwischen uns stellt.«
»Okay«, flüsterte Maureen. Sie war erschöpft vom ereignisreichen Geburtstag und brauchte Zeit zum Nachdenken. Doch morgen Nachmittag, das wusste sie, würde sie auf dem Flug über den Atlantik immerzu daran denken müssen, dass Berenger vielleicht doch mit Vittoria ins Bett gestiegen war.
RRRRRRRRRRRRR
Vatikan, Bruderschaft der Heiligen Erscheinungen
Gegenwart
Mit zusammengebissenen Zähnen drückte Felicity de Pazzi den angespitzten Nagel tiefer in ihren linken Handteller. Jetzt blutete es stärker, genug, dass sich die trockene Kruste und der Schorf bilden konnten, die für den heutigen Auftritt notwendig waren. Bei Stigmata war es äußerst wichtig, den richtigen Augenblick zu erwischen. Es dauerte ein paar Stunden, bis sich Schorf auf der Wunde gebildet hatte, die dann erneut blutete, wenn Felicity den Schorf während ihres Auftritts aufkratzte. Es würde einegute Stunde dauern, bis sich an der linken Hand genug Schorf gebildet hatte. Dann konnte Felicity die Hand verbinden und sich die rechte Hand vornehmen.
Die ersten Anzeichen von Stigmata hatte Felicity entdeckt, als sie auf dem englischen Internat war. Damals hatte sie immer häufiger Visionen gehabt, bei denen sie ekstatisch zuckend zu Boden gefallen war, wenn der Heilige Geist sich ihres Körpers bemächtigte. Die Direktorin des Internats jedoch fand Felicitys »Anfälle«, wie sie sie nannte, weder überzeugend noch sonderlich amüsant. Doch erst nachdem man die junge Italienerin zur Therapeutin geschickt und mit Schulverweis gedroht hatte, waren die Stigmata aufgetaucht.
An dem Tag, als die blutigen Wunden zum ersten Mal auf Felicitys Handflächen erschienen waren, hatte sie vor Freude geweint. Hier endlich war der körperliche Beweis, dass Gott sie zu seinem Werkzeug auserkoren hatte. Jetzt endlich würde man ihr glauben müssen – wer wollte es noch leugnen? Die Stigmata waren da, sichtbar für jeden, der Augen hatte zu sehen.
Doch als Felicity ihren Klassenkameradinnen, der Schulleiterin und der Therapeutin die Wundmale zeigte, wurde sie bloß mit teils mitleidigen, teils verwirrten Blicken bedacht, denn niemand konnte die Stigmata sehen.
Felicity war am Boden zerstört. Sie weinte, bis sie an ihrer Wut und Enttäuschung beinahe erstickte. Wie konnte Gott sie nur so verraten? Wie konnte es sein, dass sie die Wundmale Jesu so deutlich an ihren Händen sah, während andere nichts erkennen konnten?
Dann endlich, in der dunkelsten Stunde einer quälenden Nacht, erkannte Felicity den Grund: Die Menschen in ihrer Umgebung waren gottlos; sie besaßen nicht die Gabe des heiligen Gesichts. Deshalb konnten sie etwas so Heiliges wie die Wundmale nicht sehen, das Geschenk des Herrn Jesus an Felicity. Von diesem Geschenk konnten nur sie und der Erlöser wissen. Doch es war nötig, die gewöhnlichen Menschen sehend zu machen, wollte sie, Felicity,ihren Platz als Gottes besonderes Kind einnehmen. Nachdem ihr dies klar geworden war, wusste sie, was sie zu tun hatte.
Sie würde den unwissenden Menschen helfen, echte Wunden zu sehen, selbst wenn diese Wunden mithilfe angespitzter Eisennägel gestochen werden mussten. Dann würden auch die ärgsten Zweifler glauben.
Noch in derselben Nacht begann Felicity in ihrem Schlafsaal mit der schmerzhaften Prozedur. An Nägel kam sie nicht heran, deshalb stahl sie eine Rasierklinge aus dem Kulturbeutel einer Schlafsaalgenossin. Doch es war nicht einfach, mit einer Rasierklinge den Eindruck eines Lochs hervorzurufen, das von einem Nagel geschlagen worden war, und vor Schmerz und Übelkeit verlor Felicity bei diesem ersten Versuch das Bewusstsein. Dies führte umgehend zum Schulverweis und zu einer überstürzten Heimfahrt nach Italien.
Jetzt, nach mehr als zehnjähriger Übung, hatte Felicity ihre Technik derart perfektioniert, dass sie eine Meisterin geworden war. Wenn sie vor einer Zuschauermenge auftrat, sprach Leidenschaft aus ihr; sie schaffte es mühelos, einen ganzen Saal zu fesseln. Wenn Felicity als sie
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