Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
selbst sprach, war sie charismatisch und überzeugend. Sprach Felicity jedoch als der Heilige Geist, wurde es dramatisch. Solche Auftritte machten sie in ganz Rom berühmt und sorgten dafür, dass sich bereits Stunden vor ihrem Auftritt lange Schlangen vor den Türen der Bruderschaft bildeten. Wenn Felicity vom Heiligen Geist besessen war, fiel sie zu Boden und zuckte in grässlichen Verrenkungen, und ihre Stigmata platzten auf und begannen zu bluten.
Eine weitere Seele, die von Felicity Besitz ergriff, war die heilige Felicitas. Einige Mitglieder der Bruderschaft nannten Felicity bereits »Sankt Felicitas«, so überzeugt waren sie, dass ihre kleine Prophetin die wahre Botin Gottes war.
Felicity, die es inzwischen meisterlich verstand, die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer zu fesseln, konnte eine Menschenmenge binnen Sekunden beeinflussen. Und sie wusste mittlerweile, wiesie gezackte Löcher in ihr Fleisch reißen musste, damit die Gottlosen verstanden, wie sehr sie für ihre Visionen litt. Das Leiden war für Felicity das wichtigste Element. Eine Prophetin Gottes zu sein war Aufgabe einer Märtyrerin, die Qualen und stete Buße erforderte. Nur durch die Kasteiung des Fleisches, durch Keuschheit und das Erleiden körperlicher Qualen konnte man sicher sein, dass die Visionen echt waren.
Die Menschheit musste lernen, wie viel Schmerz es brauchte, um Gott zu hören.
RRRRRRRRRRRRR
Paris
Gegenwart
Maureen traf Tammy in ihrem Pariser Hotel, einem kleinen luxuriösen Haus, in dem sie jedes Mal abstieg, wenn sie in der französischen Hauptstadt war. Sie liebte dieses Hotel, das in einem ehemaligen Anbau des Louvre-Palastes untergebracht war. Es war bezaubernd, nicht von Touristen überlaufen und in Laufnähe zu allen Orten, die ihr etwas bedeuteten.
Da die Panoramafenster offen standen, machte es den Eindruck, als wollten die Wasserspeier der benachbarten Kirche jeden Moment ins Zimmer springen. Jede dieser Figuren besaß ihre eigene Persönlichkeit; manche waren scheußliche Fratzen, andere nur komisch. Doch alle waren Maureens Freunde, und sie fühlte sich auf seltsame Weise beschützt, wenn sie unter ihren wachsamen Blicken ruhte. Die Gasse zwischen den Häusern war so schmal, dass sie sich fast hinauslehnen und ihre gotischen Wachhunde streicheln konnte. Deshalb lagen Maureens Lieblingszimmer auf dieser Seite des Hotels.
Es war der Nachmittag ihres Ankunftstages, und Maureen saß auf dem Bett und schaute in einen Pariser Frühlingsschauer. Sie wartete auf Tammy, die sich im Nebenzimmer anzog.
Wenn es regnete, spuckten die Wasserspeier. Maureen staunte über die Ingenieurskunst der mittelalterlichen Architekten, die die Speier nicht zur Zierde, sondern zwecks Drainage ersonnen hatten. Rinnen sammelten den Regen ein, der auf das Dach prasselte, und leiteten ihn über Röhren durch die Mäuler der Speier ab. Interessant war, dass der englische Begriff gargoyle mit dem französischen gargouille verwandt war, dessen Verbform unter anderem »gluckern« bedeutete.
Das Klopfen an der Tür riss Maureen aus ihren Überlegungen, und sie sprang auf, um Tammy einzulassen, die mit einem Aktenordner in der Hand ins Zimmer kam. Ihr langes schwarzes Haar war zu einem glänzenden Pferdeschwanz gebunden. Sie trug Jeans und ein weißes T-Shirt, auf dem in schwarzen Lettern zu lesen stand: Heresy Begins with HER . Die beiden Frauen hätten unterschiedlicher nicht sein können: Tamara Wisdom, die statuenhafte Schönheit mit olivfarbener Haut, war schnodderig und lebhaft; Maureen hingegen, die weißhäutige Rothaarige, war zwar mitunter angriffslustig, worin sich ihr irisches Erbe ausdrückte, dabei jedoch stets diskret und vorsichtig. In spiritueller Hinsicht aber waren die beiden wie Schwestern, die mit Liebe und Hingabe an ihrer Arbeit und aneinander hingen.
»Wollen wir sofort über Berenger sprechen?« Tammy redete nie um den heißen Brei herum oder ging einem Streit aus dem Weg. »Denn ich habe eine Meinung dazu.«
»Da bin ich mir sicher«, sagte Maureen, »und ich nehme an, es ist seine Meinung.«
Tammy und Roland lebten bei Berenger im Château und betrachteten einander als Familie. Tammy ließ nichts auf Berenger kommen, der sie immer wieder finanziell und spirituell unterstützt hatte. Meistens schlug sie sich in einem Streit auf seine Seite; deshalb erwartete Maureen jetzt auch nichts anderes von ihr.
»Hör auf damit. Er liebt dich, und du weißt das. Selbst wenn er mit Vittoria geschlafen hat, als ihr
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