Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
nicht zusammen wart – was soll’s? Er ist ein Mann. So was kann passieren.«
Maureen erwog dieses Argument einen Augenblick. »Ja, aber … zu der Zeit hat er mich doch schon geliebt . Wenn es passiert wäre, bevor wir uns kannten, könnte ich es akzeptieren.«
»Du hast ihm wehgetan, Maureen, weißt du das nicht mehr? Du hast auf einer Trennung bestanden, und er war am Boden zerstört.«
»Ja, ja. Er war so am Boden zerstört, dass er sich während der langen Monate der Trennung getröstet und mit Vittoria ein Kind gemacht hat. Muss irgend so ein europäischer Brauch sein, den ich noch nicht kannte.«
Tammy sah sie verärgert an. »Er hat einen Fehler gemacht. Und als Ergebnis dieses Fehlers ist ein Kind entstanden. Dafür kannst du aber nicht dem Kind die Schuld geben.«
Maureen schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Wenn das Kind von Berenger ist, muss er die Verantwortung übernehmen und ihm ein guter Vater sein.«
»Was willst du jetzt tun?«
Wieder schüttelte Maureen den Kopf. »Das hängt davon ab, wie Berenger sich verhält. Er leugnet, jemals mit Vittoria geschlafen zu haben, aber das kaufe ich ihm nicht ab. Ich kenne ihn zu gut und weiß, wann er mich anlügt. Mir wäre es lieber, er wäre ehrlich und würde seinen Fehler eingestehen. Und abgesehen davon: Warum sollte Vittoria in dieser Sache lügen?«
»Machst du Witze? Ich könnte mir eine Million Gründe denken.«
Zum dritten Mal schüttelte Maureen den Kopf. »Sie erbt von beiden Seiten der Familie und hat als Model ein eigenes Topeinkommen. Am Geld kann es also nicht liegen. Und wenn du sie gesehen hättest … Ich kann es nicht erklären, Tammy, aber wie sie mich angeschaut hat, als sie mir diesen Umschlag gab … Es war kein böser Blick, aber der Blick einer Frau, die zielstrebig ihre Mission verfolgt. Und bei ihr bestand diese Mission einzig und allein darin, mir wehzutun. Warum sonst hätte sie ausgerechnet meinen Geburtstag und einen öffentlichen Ort für ihren Auftritt wählen sollen?«
»Dieses Miststück«, schimpfte Tammy. »Tut mir so leid, dass du das ertragen musstest. Aber du hast wahrscheinlich recht, es war Absicht. Hört sich für mich nach Eifersucht an. Die Hälfte der europäischen Schickeria nimmt es dir nämlich übel, dass du Berenger aus ihrer elitären Mitte gezerrt hast. Nimm es nicht zu persönlich.«
»Ich versuch’s ja, aber …« Maureen hielt inne, weil Tammy plötzlich das Gesicht verzog. Wortlos drängte sie sich an Maureen vorbei ins Bad und warf die Tür ins Schloss. Maureen hörte ihre Freundin heftig würgen und erbrechen. Besorgt klopfte sie an die Tür.
»Was ist mit dir?«
Sie hörte Wasser rauschen. Kurz darauf tauchte Tammy wieder auf, mit nassem Gesicht.
»Wie sagen die alten Weiber immer? Je schlechter dir ist, umso eher wird es ein Junge? Oder war es ein Mädchen? Ich kann es mir einfach nicht merken.«
Maureen stieß einen Freudenschrei aus und umarmte ihre Freundin.
»Warum hast du denn nichts gesagt?«
»Das Timing war nicht so toll. Ich hab gedacht, das Wort Baby wolltest du im Augenblick lieber nicht hören. Aber … jetzt weißt du’s ja.«
Die beiden umarmten einander, während Maureen ihre Freundin mit Fragen überschüttete, die diese geduldig beantwortete. Ja, sie und Roland seien überglücklich, obwohl die Schwangerschaft nicht geplant gewesen sei. Ja, auch Berenger wisse Bescheid und habe versprochen, Maureen kein Sterbenswörtchen zu sagen, was ihn beinahe umbrachte, aber Tammy hatte es ihr selbst sagen wollen. Und ja, Tammy sei fast ständig übel, aber sie hoffe, das würde sich mit Beginn des zweiten Drittels der Schwangerschaft geben.
Und ja, sie planten die Hochzeit im Frühsommer, bevor Tammy zu dick werde, um das wunderschöne Kleid zu tragen, das dem Anlass angemessen war.
Maureen ließ Tammy im Hotel, damit sie ein Nickerchen machen konnte, und spazierte im Regen über die Rue de Rivoli. Sie kam am Louvre mit seinen Souvenirläden vorbei und strebte weiter zu den heiligen Bücherhallen Galignanis. Die erste Buchhandlung, die sich 1801 mit englischsprachigen Büchern auf dem Kontinent etablierte, hatte Maureen mit einer literarischen Sucht infiziert, der sie seit ihrem ersten Parisbesuch als Teenager frönte. Hier fand sie wahre Schätze, Biografien über berühmte Europäer, die in amerikanischen Buchhandlungen nicht zu bekommen waren.
Als Maureen sich dem Schaufenster von Galignani näherte, blieb sie plötzlich stehen. Dort, in der Auslage der feinsten
Weitere Kostenlose Bücher