Das Magische Labyrinth
Mündung des Flusses erreichen, und wenn es dreihundert Jahre dauert und er die ganze Zeit über predigen muß. Er will den Glauben der Menschen festigen…«
»Woher will er wissen, daß das überhaupt nötig ist?« fragte Burton.
»Er weiß, was flußabwärts geschehen ist. Er weiß, welche Auswirkungen der Ausfall der Gralsteine noch in einer Entfernung von hunderttausend Kilometern gehabt hat. Was dort geschehen ist, muß anderswo auch geschehen sein. Ist Ihnen denn während Ihrer Reise nicht aufgefallen, daß viele Menschen an der Kirche zweifeln und viele vom Glauben abfallen?«
»Ich habe es bemerkt, aber ich habe mir nicht viel dabei gedacht«, sagte Burton. »Aber das hätte man voraussehen können.«
»Ja. Sogar einige Bewohner von Virolando wurden in einen inneren Zwiespalt gestürzt. Aber sie haben ja La Viro um sich, der ihnen neue Kraft geben kann. Ich glaube allerdings, es wäre das beste, man begibt sich zum Turm und sieht dort nach dem Rechten. Wenn wir herausfinden, was geschehen ist, wird sich herausstellen, daß die Kirche im Recht ist. Dann werden alle Menschen ihre Zweifel verlieren und in die Kirche kommen.«
»Es ist aber auch nicht auszuschließen«, sagte Burton schleppend, »daß das, was wir dort finden, Ihre Religion zerschmettert.«
Göring schauderte und schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete, sagte er: »Ja, ich weiß. Aber mein Glaube ist so stark, daß ich bereit bin, es darauf ankommen zu lassen.«
»Da mein zweiter Vorname Francis ist«, sagte Burton grinsend, »will ich frank und frei mit Ihnen reden. Ich kann Sie nicht ausstehen. Ich habe Sie nie gemocht. Sicher, Sie haben sich geändert. Aber ich kann Ihnen für das, was Sie meinen Freunden angetan haben, nicht verzeihen. Ich vergebe Ihnen, aber ich bin nicht bereit zu vergessen, obwohl ich der Meinung bin, daß Vergeben und Vergessen grundsätzlich das gleiche bedeutet.«
Göring rang flehentlich die Hände.
»Das ist eine Bürde, die ich tragen muß. Es geschieht mir recht. Ich werde sie nicht loswerden, bis jeder, der von meinen Schandtaten weiß, mir verziehen hat. Aber darum geht es jetzt nicht. Ich könnte Ihnen eine große Hilfe sein. Ich bin schnell, stark, nicht dumm und weiß, was ich tue. Außerdem…«
»Außerdem sind Sie ein Chancist, ein Pazifist«, sagte Burton. »Von welchem Nutzen könnten Sie für uns sein, wenn es zu einem Kampf kommt?«
»Ich würde meine Prinzipien niemals über Bord werfen«, sagte Göring aufgeregt. »Ich weigere mich, das Blut eines anderen Menschen zu vergießen! Aber ich bezweifle stärkstens, daß es überhaupt zu einem Kampf kommen wird. Das flußaufwärts liegende Gebiet ist nur dünn besiedelt. Die Menschen, die dort leben, werden praktisch von Tag zu Tag weniger. Haben Sie nicht gesehen, wie viele Schiffe plötzlich durch die Flußenge kommen? Flußaufwärts hat man gehört, daß die Bewohner Virolandos gehen. Die Leute verlassen ihre kalte Heimat, um sich hier niederzulassen.«
»Es kann sehr gut zu einem Kampf kommen«, sagte Burton. »Zum Beispiel, wenn wir die Agenten einholen und versuchen, sie zum Reden zu bringen. Und wenn wir den Turm erreicht haben… Wer weiß, was wir dort finden werden? Möglicherweise müssen wir dann um unser Leben kämpfen.«
»Nehmen Sie mich mit?«
»Nein. Und damit hat es sich. Ich habe keine Lust, noch einmal darüber zu sprechen!«
Burton ging weiter. Göring schrie hinter ihm her: »Wenn Sie mich nicht mitnehmen, gehe ich allein!« Burton warf einen Blick zurück. Das Gesicht des Mannes war rot. Er drohte ihm mit der Faust. Burton lächelte. Sogar die ethisch weitentwickelten Bischöfe der Kirche konnten also wütend werden.
Als er sich zum zweitenmal umdrehte, sah er, daß Göring mit schnellen Schritten auf den Tempel zueilte. Offenbar war er unterwegs zu La Viro, um ihm mitzuteilen, daß er dessen Befehl, mit ihm flußabwärts zu fahren, nicht gehorchen würde.
In dieser Nacht überrumpelten sie – von Burton angeführt – die Wachen der Plakate ankleben verboten. Sie näherten sich dem Boot von der Seeseite her, gelangten lautlos an die Reling und zogen sich an der Backbordseite hoch. Dort saßen zwei Wächter und unterhielten sich. Sie wurden von hinten gepackt, und man hielt ihnen so lange Mund und Nase zu, bis sie die Besinnung verloren. Joe Miller betrat das Boot gleichzeitig von der Uferseite aus, wechselte ein paar Worte mit dem dritten Mann, packte ihn und schleppte ihn dann zum Bug, wo er den Zappelnden
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