Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
Leben und in Besitz seiner geistigen Fähigkeiten ist, wird er Euch all die Erklärungen geben, nach denen Ihr verlangt.«
»Er ist krank und alt«, meinte der Priester, »aber nach allem, was man hört, ist er durchaus zurechnungsfähig. Wenn er schwört, dass Ihr seine Tochter seid, werde ich ihm glauben.«
Averil nickte knapp. Sie überreichte die Zügel ihres Pferdes einem der Wachmänner, bedeutete Gereint mit einem Blick, sie zu begleiten, und begab sich zu den Gemächern ihres Vaters.
Auch in der Zitadelle hatte sich wenig verändert, abgesehen davon, dass das Licht ein wenig trüber wirkte und die Scharen der Freier verschwunden waren. Der Hof hatte sich größtenteils zerstreut, um eigenen Geschäften nachzugehen; er würde im Laufe des Herbstes zurückkehren, aber dieser Tage verweilten nur Hofbeamte, Wachen und ein paar dickfellige Faulenzer in der Halle des Herzogs. Eine leise Melodie erklang in ihrer Mitte, ein langsames Klagelied in Moll.
Gamelins Ankunft sorgte für Unruhe. Leute beeilten sich, ihm aus dem Weg zu gehen. Das Lied brach mit einem besonders jämmerlichen Ton ab. Dies war ein weiterer Anklagepunkt gegen den König und seine Gefolgsleute. Averil notierte es auf ihrer imaginären Liste.
Die Tür ihres Vaters wurde von Männern bewacht, die keinerlei Sympathie für Gamelin an den Tag legten. Sie erkannten Averil und Gereint; sie sah den Funken von Freude, der schnell verborgen wurde. Es wärmte ihr ein wenig das Herz, während es gleichzeitig ihren Argwohn verstärkte.
Sie befand sich hier auf unsicherem Terrain: auf seine Weise ebenso gefährlich wie das Feld der Bindung. Sie wappnete sich innerlich und äußerlich, sorgte dafür, dass Magie und Tapferkeit bereit waren, und durchquerte die Tür, die die Wächter geöffnet hatten.
Der Druck, der auf der Stadt lastete, wirkte hier ein wenig leichter. Und dennoch konnte Averil sich nicht darüber freuen. Der Krankheitsgeruch nahm ihr fast den Atem. Ihr Vater mochte noch am Leben sein, aber es ging ihm nicht gut.
Herzog Urien lag auf einem Sofa in seinem Arbeitszimmer. Ein munteres Feuer flackerte im Kamin, aber es vermochte kaum, den kühlen Raum zu erwärmen. Er hatte gelesen, auf seinem in Decken gehüllten Schoß lag ein Buch. Seine Augen waren geschlossen, das magere Gesicht zum Feuer gewandt.
Landvogt Bernardin saß neben ihm, aufrecht wie in Habtachtstellung, den Blick ebenfalls auf die Flammen gerichtet. Keiner von beiden schenkte Gamelins Ankunft Beachtung. Es war der trotzige Widerstand von Gefangenen, aber er barg eine gewisse Genugtuung.
Averil und Gereint erfuhren eine andere Begrüßung. Bernardin erhob sich. Der Herzog war zu schwach, aber er streckte die Arme aus. »Tochter! Bei den Heiligen der Paladine, was tust du hier?«
Sie ergriff seine mageren, kalten Hände und ließ sich von seinen zittrigen Armen umfangen. »Ich musste zurückkommen«, sagte sie. »Ich konnte dich nicht allein sterben lassen.«
»Dies ist eine Schlangengrube«, sagte er. »Du wärest überall sicherer als hier.«
»Ich gehöre hierher.« Sie kniete neben dem Sofa nieder und hielt noch immer seine Hand. »Hat er dich gefoltert, Vater?«
»Keineswegs«, erwiderte der Herzog. »Er macht eigentlich genau das Gegenteil. Er schenkt uns so gut wie keine Beachtung.«
»Das wird aufhören«, sagte sie. Sie warf Gamelin einen grimmigen Blick zu. »Augenblicklich.«
Der Priester betrachtete die Szene mit Interesse. Averil hoffte, er wurde von dem, was er sah, zufriedengestellt.
»Ihr könnt dem König ausrichten«, sagte sie zu ihrem Vater, aber auch zu Gamelin, »dass es keine Notwendigkeit für ihn gibt, seinen Aufenthalt hier zu verlängern. Eure Thronerbin ist aus dem Exil zurückgekehrt, in das Ihr sie geschickt habt. Väterliche Liebe und Angst um ihre Sicherheit brachten Euch dazu, ihre Dienerin einen Tarnzauber ihres Gesichts tragen und sie statt ihrer sterben zu lassen. Das ist vorbei. Jetzt werden wir mit der Wahrheit leben. Ich vertraue darauf, dass wir nicht daran sterben werden.«
»Tochter«, sagte ihr Vater, »Averil. Ich hätte dich niemals hierherzitieren sollen. Ich dachte, ich hätte einen schlauen Plan ausgeklügelt, aber es war nichts als die Torheit eines alten Mannes. Kannst du mir vergeben?«
»Es gibt nichts zu vergeben«, erwiderte sie. »All dies hat so kommen sollen. Vielleicht wendet es sich am Ende ja noch zum Guten.«
»Bete zu Gott, dass es so sein wird.« Er hob die zitternde Hand, um ihr übers Haar zu
Weitere Kostenlose Bücher