Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
sein Gesicht mit ihrer gespaltenen Zunge. Er stand ganz still, zwinkerte kaum mit den Augen, während die tödlichste aller Schlangen sich vergewisserte, dass er tatsächlich ihr Gebieter war.
In der Luft hinter sich spürte er Bewegung, aber er regte sich nicht. Die Schlange verließ ihren Ruheplatz und glitt über seine Schulter nach unten, schlang sich um seinen Arm und ließ ihren Kopf schließlich in seiner Handfläche ruhen.
Eine ruckartige Bewegung, und sie hätte ihm ihre Giftzähne ins Fleisch gejagt. Selbst seine magischen Kräfte würden es schwer haben, ihn zu retten, bevor das Gift zu seinem Herzen gelangte.
Die vollkommen berauschende Angst brachte ihn zum Lächeln. Ein kaum merklicher Luftzug streifte ihn. Er fühlte die Präsenz hinter sich, die Macht eingedämmt und raffiniert geschützt, den Atem gedämpft, so gut es ein Sterblicher vermochte. »Vater Gamelin«, sagte er.
»Majestät«, sagte sein Berater, indem er ihm langsam gegenübertrat. Die Schlange schlief in der Hand des Königs, ihre lidlosen Augen schimmerten. Gamelin erinnerte den König ziemlich stark an die Schlange: schlank, elegant und äußerst geräuschlos. Er sah aus wie ein bescheidener Priester, stets ganz in Schwarz gekleidet, zwischen all dem glitzernden Pomp am Hofe, aber es gab keinen subtileren Geist und keine gefährlichere Magie als die seine.
Er war der Lieblingsdiener der Schlange. Clodovec dagegen war nichts weiter als ein Akolyth, wenn auch ein königlicher und äußerst mächtiger. Eines Tages würde er mehr sein. Er senkte die Lider, damit der Gedanke nicht entwich, und schenkte dem Priester ein Lächeln. »Wie Ihr seht, bin ich bei meinen Gebeten. Ist Eure Botschaft dringend?« »Nicht so sehr, Majestät«, erwiderte Gamelin. Er verneigte sich vor der Schlange, dem, ach so teuren Kind des großen Herrn und Meisters, wobei er sich mit äußerster Vorsicht bewegte.
Die Schlange hob den Kopf. Clodovec bemühte sich, seinen Herzschlag zu beruhigen und die aufwallende Furcht zu unterdrücken. Die schwarze Zunge schnellte hin und her, der schmale Kopf schwenkte nach links und rechts. Clodovec wagte kaum zu atmen.
Abrupt fuhr die Schlange hoch und schnellte zurück auf ihr Blatt. Clodovec zog sich so rasch zurück, wie er sich traute. Ein Tropfen kalten Schweißes rann seinen Rücken hinab. Mit plötzlicher Heftigkeit verlangte es ihn nach einer Frau.
Dies war nicht der richtige Moment dafür. »Also gut, Vater«, sagte er. »Was verlangt auf der Stelle meine Aufmerksamkeit?«
»Vielleicht nicht auf der Stelle, Majestät«, sagte Gamelin. »Aber bald. Herzog Uriens Thronerbin hat die Insel verlassen.«
Clodovecs Braue zuckte. »So bald? Dann hat er also einen Ehemann für sie gefunden?«
»Anscheinend noch nicht«, sagte Gamelin. »Wir haben ihm arg zugesetzt. Vielleicht ist er in Panik geraten.«
»Mein werter und ehemals geliebter Schwager gerät nicht in Panik«, sagte der König. »Was weiß er, was wir nicht wissen?«
Gamelin spreizte die Finger. »Ich kann es Euch nicht sagen, Majestät. Ich habe die Kristalle geworfen und den Äther beschworen, aber da ist nichts.« Clodovec runzelte die Stirn und strich sich durch die parfümierten Bartlocken. Der Duft nach Moschus und Amber tat seiner Nase wohl. »Ist es möglich, dass der Schatz gefunden wurde?« Gamelin erstarrte, während sein Gesicht jedoch keinerlei Gefühlsregung verriet. »Wir wissen, dass die Ritter ihn verwahren. Aber wenn er ihn gefunden hätte, würden wir es wissen. Bislang gab es keinerlei Anzeichen dafür.«
»Bis auf einen Ruf, den wir erst erwartet hatten, wenn das Mädchen erwachsen und verlobt sein würde.«
»Es wäre möglich«, sagte Gamelin, »dass er seinen Tod vorausgesehen hat. Er ist ein alter Mann. Alte Männer sterben.«
»Das wäre ein schmerzlicher Verlust für sein Volk«, räumte Clodovec ein, »und äußerst vorteilhaft für uns. Ich bin mir sicher, Vater, dass Ihr in Erfahrung bringt, wodurch diese Wendung der Ereignisse zu Stande kam.« Gamelin machte eine tiefe Verbeugung, wie es sich für einen guten Diener geziemte, aber Clodovec entging nicht das Glitzern in seinen Augen. Es war so tödlich wie das Gift der grünen Schlange - eine Tatsache, die Clodovec niemals außer Acht lassen durfte.
Ansonsten war er überaus nützlich. Er veranlasste Clodovec, neue Möglichkeiten zu erwägen und neue Pläne zu schmieden. Urien dachte also, er könnte bald sterben? Diese Prophezeiung mochte sehr wohl eintreffen.
Weitere Kostenlose Bücher