Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
Eigentlich hatte Clodovec noch andere Pflichten, deren Erfüllung er jedoch noch eine Weile aufschob. Der Mittelpunkt des Paradieses war eine kristallene Kugel, so hoch wie ein großer Mann - ein wenig größer als der König. Eine dunkle Kreatur schlängelte sich darin. Durch Magie wurde sie erschaffen und durch Gebete gestützt, aber dennoch, sie war nur eine Vision.
Er kniete vor ihr nieder. Irgendwo zwischen dem komplizierten Gewebe irdischer und göttlicher Macht der Ritter befand sich die lebendige Wirklichkeit, die in dieser Kugel gespiegelt wurde. Und irgendwo dazwischen war die Schlange in ihrem wahrsten und heiligsten Selbst gefangen.
Clodovec betete, dass die große, heilige und erhabene Macht, das überirdische Chaos, sich befreien würde. Dies war sein innigster Wunsch, sein höchstes Ziel.
Noch konnte die Welt nicht erfahren, was Clodovec beabsichtigte. Die Kirche des Jungen Gottes regierte sie mit eiserner Hand und erbitterter Magie -, und es war der Junge Gott gewesen, der die Schlange gefesselt hatte. Die Ritter waren seine treuen Diener, und die Priesterinnen waren von alters her seine Verbündeten.
Clodovec hasste sie alle. Er hatte diesen Hass zu einer feinen Pfeilspitze geschliffen, ihn gehegt und gepflegt und zu einer Waffe von unvergleichlicher Wirkung gemacht.
Eines nicht allzu fernen Tages würde sich alles ändern. Er würde den wertvollsten und geheimsten Schatz der Ritter finden. Dann würde er die Gefängnismauern einreißen und die Ketten zerschlagen. Und dann … Dann würde die ganze Welt ein solches Paradies sein wie dieser Schrein für die Schlange. Harte Gesetze und erstickende Ordnung würden zerbrechen. Die Menschheit würde frei sein, wie sie es gewesen war, bevor es zu dem gekommen war, was die Diener der Schlange als den Untergang bezeichneten: als die Schlange in Ketten gelegt wurde und das erhabene Chaos aus der Welt verschwand.
Clodovec war ein leidenschaftlicher Mann, aber er dachte auch praktisch. Er hauchte ein letztes Gebet und erhob sich. Die Kugel verdunkelte sich, bis sie nur noch wie eine runde Steinskulptur wirkte, die den exotischen Garten des Königs zierte.
Auf dem Weg zu den weniger abgeschiedenen Teilen des Palastes kam dem König ein neuer Gedanke. Was war — nur einmal angenommen —, wenn Herzog Urien wusste, wo die Schlange gefangen gehalten wurde? Und was war, wenn seine Tochter dieses Geheimnis teilte?
Es war ein seltsamer Gedanke, aber nicht so abwegig, wie es Clodovec heb gewesen wäre. Quitaine war das wohlhabendste der Herzogtümer von Lys, und die Familie, von der es regiert wurde, war bekannt für die Tiefe und Reinheit ihrer Magie. Nur Clodovecs eigene Familie hatte einen höheren Rang in den Reihen der Gesegneten, und die verstorbene Ehefrau des Herzogs war Clodovecs Schwester gewesen. Herzog Uriens Erbin war somit doppelt mächtig und königlich.
Es hatte eine Zeit gegeben, zu der man sie alle Kinder der Götter genannt hätte. Doch Lys war nicht länger heidnisch, mochte sich Clodovec für die Zeit nach der Befreiung der Schlange auch anderes erhoffen. Ein formbares junges Mädchen, aufgewachsen in der klösterlichen Abgeschiedenheit der Insel, ein ältlicher und kraftloser Vater …
Clodovec lächelte. Urien hielt es wohl für klug, seine Thronerbin nach Hause zu holen, damit er sie an seine Magie binden konnte, bevor das Alter ihm die Kraft nahm. Aber kluge Männer erwogen nur selten, dass andere ebenso klar sehen konnten wie sie.
Während die Thronerbin des Herzogs auf der Insel weilte, hatte Clodovec sie nicht anrühren können. In Quitaine jedoch befand sie sich in seiner Reichweite, mochte sie auch noch so gut geschützt sein. Und sobald ihr Vater tot war, erhielt ihr nächster Verwandter die Vormundschaft über sie: der Bruder ihrer Mutter, der König von Lys.
Selbst wenn sie nichts über das große Geheimnis wusste, das die Ritter bewahrten, war sie eine reiche Beute. So oder so, Clodovec konnte nicht scheitern.
Clodovec gewann gern eine Schlacht. Noch besser war ein ausgeklügelter Plan, bei dem nicht mehr Blut vergossen wurde als absolut notwendig. Er schnippte mit den Fingern. Ein Diener erschien wie aus dem Nichts. Er gab Befehle, auf deren Ausführung er sich fest verlassen konnte.
Danach ruhte er nicht — so leicht waren die Pflichten eines Königs nicht zu erfüllen -, aber er gestattete sich, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, zufrieden zu sein.
Kapitel 6
Gereint blieb den Rittern seit zwei Tagen auf
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