Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
den Mund geschlossen und die Ohren offen. Sie würden keine Geheimnisse ausplaudern, während er bei ihnen war, aber aus ihren Stimmen, Gesten und Gesprächsfetzen konnte er eine Menge lernen. Das Meiste konnte er noch nicht recht verstehen, aber mit der Zeit würde er es lernen. Während sie im Sonnenschein dahinritten, der den ungewöhnlich späten Schneesturm vergessen ließ, überkam ihn eine äußerst seltsame Empfindung. Zuerst war er entsetzt und fürchtete, dass seine Magie nun doch wieder aus ihm herausbrach.
Dann erkannte er, was es war. Er war glücklich. Sein Weg führte von Verwirrung ins Ungewisse, und er konnte immer noch zu seiner Mutter zurückgeschickt werden, aber er hatte Lust zu lachen und zu singen. Er tat natürlich weder das eine noch das andere. Wenn er jemals Selbstkontrolle erlangen wollte, so war jetzt der richtige Ort und Zeitpunkt, diese Kunst zu erlernen.
Das Ordenshaus von Sankt Emile thronte über der Straße zum Meer. Das Licht war anders dort, von einer außergewöhnlichen Klarheit über dem westlichen Horizont; die Luft hatte einen leichten, eindringlichen Geruch. Gereint wäre dem Geruch vielleicht gefolgt, der nach den Worten seiner Gefährten vom Meer kam, aber die grauen Steinmauern des Ritterhauses zogen ihn in sich hinein.
Sie nannten es ein Haus. Er nannte es ein Schloss. Es war nicht groß und um eine Villa aus alter Zeit herumgebaut worden, aber es gab keinen Zweifel, dass es sich um ein Haus des Krieges handelte.
Aber es war auch ein Haus der Magie. Stränge davon durchzogen die Wände und rankten sich über die niedrigen quadratischen Türme. Gereint spürte ein Prickeln auf der Haut, als sie durch das Tor ritten.
Er sah zu den anderen hinüber. Unbekümmert setzten sie ihre Gespräche fort, während sie durch das Tor ritten. Auf einem Hof wurden sie von Männern erwartet, die ihnen die Pferde abnahmen. Einige trugen die grüne Kleidung der Novizen, andere schienen ebenso gewöhnlich wie Gereint — Stallburschen, die so schlicht gekleidet waren wie er und die nur einen vagen Schimmer von Magie ausstrahlten.
Er dachte, man würde ihn wie die Pferde den Stallburschen übergeben, aber als er verloren dastand, trat Mauritius neben ihn und sagte wie am vergangenen Abend im Dunkeln: »Komm mit.«
Zum ersten Mal in seinem Leben übte Gereint sich in stummem Gehorsam. Er war zuvor schon ein, zwei Mal in einem Schloss gewesen, um dem Baron von Remy Nachrichten von seiner Mutter zu überbringen. Das Schloss von Messire Henri war eindrucksvoller als dies, aber dort hatte es ihm nicht die Sprache verschlagen.
Magie war in die Materie dieses Ortes gewoben. Jeder Stein, jeder Hof und jeder Durchgang war davon erfüllt. Und dennoch nahmen die Menschen, die hier lebten, es als selbstverständlich hin.
Sie hatten kein Interesse an Gereint oder an seinen Reisegenossen, warfen ihm höchstens einen flüchtigen Blick zu und richteten ihre Begrüßung und ihr Lächeln an seinen Führer. Mauritius erwiderte beides mit der Lässigkeit eines Mannes, der sich in seinem Element befindet.
Gereint beobachtete, wie er sich benahm. Nicht, dass man von ihm als Bauernjungen jemals eine derart ungezwungene Anmut erwartet hätte, aber es war einfach ein wunderbarer Anblick.
Er war so sehr beschäftigt mit den Menschen, dass er kaum bemerkte, wohin Mauritius ihn führte. Als sie stehen blieben, befand er sich auf einem kleinen kahlen Hof direkt vor einem Kirchenfensterbild: ein Ritter in voller, schimmernder Rüstung, das mächtige Schwert erhoben, um es auf den Nacken eines kauernden Wurms niedersausen zu lassen.
Er blinzelte. Die Sonne schien ihm in die Augen, schwebte über der Wand. Die glänzende Gestalt wurde zu einem Mann in Kürass und Beinschienen, der auf einen Holzblock einhackte.
Er hackte äußerst anmutig, machte eine Art Tanz daraus: Ausholen, Schlagen, vor und zurück, Schlag und Gegenschlag, ein glänzender Wirbel aus Stahl in der schillernden Luft, der plötzlich zur Ruhe kam.
Das Gesicht, in das Gereint schaute, war ein wenig jünger als das von Mauritius, aber viel strenger und dem seinen um einiges überlegen. Die helle Haut war von der Anstrengung gerötet, die blauen Augen glitzerten, aber sie strahlten eine vollkommene Ruhe aus. Sie blickten so tief in Gereints Innerstes, durch alle Masken und Vortäuschungen hindurch, bis er sie fast nicht mehr spüren konnte.
Tief drinnen in seiner Seele sah er in sie hinein. Dabei weiteten sie sich. Sie hatten die Farbe eines
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