Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
wie die Übrigen, aber sein Blick war auf den Herzog gerichtet.
Sie packte ihn am Arm und schüttelte ihn kräftig. Er blinzelte und erbebte. Sie ohrfeigte ihn.
Er holte aus. Sie wappnete sich gegen den Schlag, aber er verfehlte sie. Sein finsterer Blick wirkte eher verwirrt als wütend. »Was -«
Sie zog ihn mit sich an der Wand entlang, watete wie durch Wasser. Sie waren gefangen zwischen zwei Welten, zwischen der sorglosen Fröhlichkeit des Festes und der kalten Stille feindseliger Magie.
Der Blick des Herzogs war leer. Der Pfeil schimmerte unterhalb des Kehlkopfs. Er sank tiefer, bohrte sich ins Fleisch.
Bernardin brach den Bann und stürzte an Averil vorbei zum Ehrentisch. Der Herzog sackte in seinen Armen zusammen. Vom Ehrentisch aus breitete sich Stille aus. Es folgte erschrockenes Gemurmel, dann Empörung, dann Entsetzen.
Unerkannt schlüpfte Averil hinter Emmas Stuhl und flüsterte ihr ins Ohr: »Steh auf. Übernimm das Kommando. Sonst rennen sie los wie wildgewordene Rinder.«
Emma schaute genauso entsetzt drein wie alle anderen, aber Averils strenger Tonfall und ihre forschen Worte brachten sie vielleicht nicht zur Vernunft, aber ermahnten sie zum Gehorsam. Sie erhob sich schwankend, doch ihre Stimme war klar und deutlich. »Bitte. In Gottes Namen. Macht uns Platz.« Es waren zwar nur wenige schlichte Worte, aber sie sprachen den Sinn für Ordnung an, den jedes Kind von Lys mit der Muttermilch eingesogen hatte. Panik wandelte sich in Furcht. Die Leute entfernten sich, zogen sich zurück von ihrem Herzog, der schlaff in den Armen seines Landvogtes lag. Herzog Urien lag in seinem harten, schmalen Bett. Es war die Pritsche eines Gelehrten oder eines Mönchs, und sie stand in einer Gelehrtenklause. Die Wände waren voller Bücher, und sie stapelten sich auch hier auf Bänken und Tischen.
Die Augen des Herzogs waren geöffnet, aber was auch immer sie sahen, es waren nicht die vom Alter geschwärzten Deckenbalken. Seine Hände lagen kraftlos auf der Decke. Er atmete kaum.
Sein Hofarzt hatte keinen Auslöser für diese plötzliche Krankheit gefunden. Der Pfeil war verschwunden, weggeschmolzen wie Eis. Nur sein Gift war zurückgeblieben und breitete sich langsam im Körper des Herzogs aus. Die Meister der neun Magierorden waren gekommen und gegangen. Wie Meister Orazio hatten sie händeringend erklärt, keinen Rat zu wissen. Es war Magie im Spiel bei dieser Krankheit, darin waren sich alle einig, aber es war keine, mit der sich einer von ihnen auskannte.
Emma war in ihre Räume getragen worden. Sie war äußerst überzeugend in Ohnmacht gefallen, worauf die Hälfte der Freier sowie all ihre Zofen sie umschwirrt hatten. Nun saßen nur Averil, unsichtbar wie immer, und Bernardin schweigend am Bett des Herzogs.
Der Landvogt hatte den Kopf gesenkt und das Kinn aufgestützt. Zwischen seinen Brauen war eine tiefe Falte. Er war wachsamer, als man es mit bloßem Auge sehen konnte, schwebte jedoch genauso im Ungewissen über das, was den Herzog niedergestreckt hatte, wie alle anderen.
Averil saß ihm gegenüber und ließ die Schatten weichen. Als das Licht um sie herum heller geworden war, machte er große Augen. Sie unterdrückte ein Lächeln.
»Comtesse«, sagte er und verbeugte sich.
Sie machte eine abwinkende Geste. »Ihr habt es nicht gesehen, nicht wahr? Keiner hat es gesehen.«
»Was hätte ich sehen sollen?« Um ein Haar hätte er wieder ihren Titel hinzugefügt, besann sich aber rechtzeitig.
»Den Pfeil«, erwiderte sie, »der aus dem Schatten kam. Ich dachte, er wäre aus Glas gewesen, aber er schmolz wie Eis. Ihr habt ihn wirklich nicht gesehen?«
Er schüttelte den Kopf. »Seid Ihr sicher, dass es ein Pfeil war?«
»Ich habe ihn gesehen.«
Sein finsterer Blick wurde noch grimmiger.
»Kennt Ihr Euch damit aus?«, fragte sie. »Gehört er zu der Art von Magie, mit der Ihr vertraut seid?«
»Es müsste nicht einmal unbedingt Magie im Spiel sein«, sagte er. »Oder Magie im Pfeil und Gift in der Spitze, davon habe ich schon gehört. Aber wenn Meister Orazio und sein Orden es nicht wissen, kann ich erst recht nicht sagen, was für ein Gift es ist. Meine Magie besteht darin, zu schützen und zu verteidigen, nicht im Herumschleichen und Zerstören.«
»Könnte der König es wissen?«
»Der König«, sagte Bernardin langsam, »ist kein Freund unseres Ordens. Wir haben ihn zurückgewiesen, versteht Ihr? Er kam zu uns in der Hoffnung, ein Ritter zu werden, aber er scheiterte schon dabei, das Tor
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