Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
des Mutterhauses zu passieren.«
»Warum scheiterte er?«
»Ist das von Bedeutung?«
»Könnt Ihr sagen, dass es das nicht ist?«
Bernardin seufzte. Er klang unsagbar müde. »Er scheiterte, weil seine Magie ausreichend war, aber nicht sein Herz. Es mangelte ihm an einer gewissen Eigenschaft des Geistes.«
»War er schwach?«
»Keineswegs«, sagte Bernardin. »Er war sehr stark. Aber seine Kraft war und ist mit unserer Disziplin nicht vereinbar. Ein Ritter lebt dafür, dem Königreich und dem Orden zu dienen. Clodovec lebt dafür, sich selbst zu dienen.« »Also hasst er Euch«, sagte Averil. »Wie steht er dann zu meinem Vater? Sieht er ihn nur als Hindernis?«
»Euer Vater ist der größte Herrscher in diesem Teil von Lys und verfügt über mehr Einfluss und größeren Reichtum als der König selbst. Ja, ich glaube, dass der König hinter dieser Sache steckt, aber was er getan hat und wie man es wieder rückgängig machen kann, das weiß keiner von uns.« »Dann werden wir es in Erfahrung bringen«, sagte Averil.
Bernardin nickte. Nach einer Pause sagte er: »Comtesse, aufgrund seiner derzeitigen Schwäche würde ich unter normalen Umständen die Regierungsgeschäfte übernehmen. Jetzt, da Ihr — oder Euer Ebenbild — hier seid, solltet Ihr dieses Amt ausüben. Werdet Ihr es übernehmen? Werdet Ihr den Tarnzauber von Eurer Dienerin fortnehmen und Euch selbst ins Licht stellen?«
»Wenn ich das tue«, sagte Averil, »werde ich dann in größerer oder kleinerer Gefahr schweben als zuvor?«
»Ihr wart zuvor schon ein Angriffsziel. Jetzt werdet Ihr umso mehr eines sein.«
Averil schaute auf ihre gefalteten Hände. »Ich muss nachdenken«, sagte sie. »Verdoppelt die Wachen für mein Ebenbild und sichert den Schutzzauber.« »Das wurde schon erledigt, Comtesse«, sagte Bernardin.
Ihr wurde bewusst, dass er sie zwei Mal mit ihrem Titel angeredet hatte, ohne dass sie ihn korrigiert hätte. Sie zuckte unmerklich mit den Schultern. Jeder in diesem Raum wusste, wer sie war.
Sie erhob sich und strich ihre Röcke glatt. Er erhob sich ebenfalls, stand da wie ein Wächter und wartete.
»Bleibt«, sagte sie. »Ich gehe nur in die Bibliothek.«
»Ihr solltet bewacht werden«, sagte er.
»Ich? Eine Dienerin?«, erwiderte sie. »Würde das nicht zu Fragen führen, die wir nicht beantwortet haben möchten?«
Er lenkte ein, wenn auch nicht gern. Sie lächelte ihn müde an und senkte den Kopf. »Kümmert Euch um meinen Vater.«
Kapitel 14
Gereint fand das Leben im Mutterhaus sowohl erschöpfend als auch beglückend. Mit seinem Lehrer Riquier stand er schon vor der Morgendämmerung auf und war bis tief in die Nacht beschäftigt mit Arbeiten, Lernen und Waffenübungen. Riquier teilte die Philosophie seiner Mutter: Je härter man das schwierige Kind an die Arbeit kriegte, desto weniger Zeit blieb ihm, in Schwierigkeiten zu geraten.
Am Morgen, nachdem der Herzog zusammengebrochen war, wurde im Refektorium über seine Unpässlichkeit getuschelt. Gereint hörte davon, ohne dass es von großem Interesse für ihn gewesen wäre. Es betraf ihn nicht direkt; er machte sich mehr Gedanken über die zwölf Bücher, die er lesen sollte, die meisten davon in Sprachen, von denen er noch nie gehört hatte. »Du wirst sie schon noch lernen«, hatte Riquier ihm am Abend zuvor versichert, als er die Bücherstapel auf Gereints Bett fallen ließ. »Morgen Früh fangen wir an, nach dem Küchen-und Stalldienst und der Übungsstunde mit dem Schwert.«
Küchen- und Stalldienst waren einigermaßen angenehm. Die Stunde mit dem Schwert war so beschämend, wie Gereint es erwartet hatte. Nachdem er sich Schweiß und Blut abgewaschen hatte, schleppte er sich in die Bibliothek, wo ihn sicherlich ein uralter, griesgrämiger Gelehrter erwarten würde, um die Finsternis seiner Unwissenheit zu erhellen.
Das Mutterhaus war ein Labyrinth, aber er lernte sich zurechtzufinden. Der kürzeste Weg von der Schwertkampfhalle zur Bibliothek ging über einen Hof an den Ställen entlang, querte darauf einen Gemüsegarten, die unteren Küchen und den Durchgang zum Speisesaal der Ritter. Von diesem ging eine Reihe von Türen ab, von denen die meisten ständig verschlossen waren.
Die Tür zur Bibliothek befand sich am Ende des Gangs hinter ein paar aufwärtsführenden Stufen. An diesem Morgen war die Tür am unteren Ende der Treppe, die immer fest mit Magie verriegelt gewesen war, unverschlossen. Gereint war klug genug, seiner Neugierde nicht nachzugeben. Er
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