Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
Erde aufnehmen. Er legte die Hand auf den Hals von Averils Pferd. Die Haut zuckte, aber das Pferd blieb stehen. Er hörte, wie Averil einatmete, ein hastiges Luftschnappen zwischen den Schreien der Verwundeten.
Der dritte Pfeil flog nicht so weit und setzte nicht so viele kleine Pfeile frei. Und dennoch übte er eine größere Macht aus als die beiden ersten, denn er brachte den Feind in Bewegung.
Der Bogen fiel Averil aus der Hand. Gereint streckte die Hände nach ihr aus, noch bevor sie fiel, aber sie hielt sich am Sattel fest. Gereint zog sich hoch, bis er hinter ihr saß.
Es kümmerte ihn nicht länger, was die anderen sagen oder denken könnten. Averil lehnte sich gegen seinen Körper zurück. Ihre Dankbarkeit war deutlich zu spüren.
Er selbst fühlte etwas anderes als Dankbarkeit. Noch stärker als der Schrecken und fast so stark wie ihre zweifache Magie, war die Hitze, die in ihm aufstieg. Sie nährte die Magie, zog Kraft aus Averil wie aus der Erde. Die Wand der Ritter konnte sie nicht aufhalten. Als hätte Gereints Zerstreuung sie zu Fall gebracht, stürzte die Mauer ein. Die Ritter stürmten zum Angriff. Averils Pferd sprang ihnen nach, wobei seine Reiter fast zu Boden gingen.
Averil umklammerte den Sattelknauf, und Gereint umklammerte Averil. Macht stieg in ihm auf — direkt durch seinen Körper hindurch und in sie hinein.
Es überrumpelte ihn. Er taumelte zurück. Mit lautem Gedröhn krachten die beiden Armeen aufeinander.
Kapitel 25
Die Schlacht tobte um den Kreis der Ritter. Averil in der Mitte hatte nun nichts weiter als einen Köcher mit unmagischen Pfeilen zu bieten sowie den Bogen, den Gereint aufgehoben hatte, bevor er hinter ihr aufs Pferd gestiegen war. Als der Köcher leer war, zog sie ein Messer aus ihrem Gürtel. Es war ein Fleischmesser, aber es war spitz und scharf.
Averil hatte längst aufgehört, sich zu fürchten. Sie würde heute sterben. Das schien gewiss. Auch die Ritter scherten sich beim Kampf nicht um Leib und Leben, als hätten sie nur das Ziel, möglichst viele Diener der Schlange mit in den Tod zu nehmen.
Sie griffen zuerst mit den Lanzen und Speeren an. Als diese zerbrochen oder verloren waren, nahmen sie Streitkolben und Äxte. Männer fielen. Die meisten waren Soldaten des Königs, aber allzu viele waren auch Ritter der Rose, Männer, deren Namen und Gesichter sie kannte.
Da die Kraft ihrer Pfeile erschöpft war, schien es, als könnte sie nichts mehr tun, als stehen zu bleiben, in Erwartung des Todes. Wie besessen zählte sie die Toten, während sie nach der Waffe Ausschau hielt, die die Wand der Bewacher durchdringen und ihr das Leben nehmen würde.
Tief unter der Oberfläche ihres sterblichen Bewusstseins erhob sich etwas anderes, etwas von gewaltiger Stärke. Dieses Land nährte Gereints Macht und dadurch auch ihre eigene. Aber es nährte auch etwas anderes - etwas Älteres und Tieferes als Magie. Etwas, an das sie nicht denken sollte, weder hier noch sonst irgendwo, wenn es Gereint war, an den sie dachte.
Er war ihre zweite Hälfte.
In der einen Hand hielt Averil das Messer. Ihre andere tastete nach Gereints Hand. Er griff nach ihr, wie er es immer tat, wie er es immer tun würde.
Zwölf Ritter, Knappen und Novizen waren gefallen. Dreizehn: Der Hals eines Novizen wurde von einem Speer durchbohrt, als er den Ritter schützen wollte, für den er bestimmt war. Sie riss den Blick von seiner Leiche fort. Es gab schon so viele Tote, so viel Blut versickerte in der Erde, die seit zweitausend Jahren ausgedorrt war.
Gereint verlor die Kontrolle über seinen Zorn. Sie spürte seine Verzweiflung wie einen Knoten in ihrer Mitte. Er wusste zu wenig. Er wusste immer zu wenig. Und Menschen wurden verwundet und starben, weil er zu unwissend war, um ihnen oder sich selbst zu helfen.
Er war kurz davor, sich in den Kampf zu stürzen. Stattdessen stahl sie sich in sein Inneres, mit all der Kraft, die sie noch übrig hatte.
Er war ein bodenloser Brunnen voller Magie, so tief, dass sie keinen Grund erkennen konnte. Als sie in ihm war, verschwand seine Unwissenheit. Ihr Wissen, ihre langen Jahre der Ausbildung und des Lernens füllten seine leeren Bereiche.
Er machte sie stark. Sie verfügte selbst über große Macht, aber mit ihm zusammen war sie mächtiger, als sie es bei einem sterblichen Wesen für möglich gehalten hätte.
Um sie herum war alles genau wie zuvor: Die Schlacht tobte, Männer starben. Seelen flohen, stiegen wie Nebel über den Körpern der Gefallenen
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