Das magische Land 2 - Das Amulett der Schlange
diesen falschen Priester noch nie lächeln sehen, und auch jetzt verkniff er sich diese Schwäche. Aber in seinen Augen war ein kaltes Glitzern. »Natürlich glaubt Ihr mir nicht. Es war ein erbitterter Krieg, den wir führten.« »Wir führen ihn noch immer«, sagte sie.
»Tun wir das?« Er erhob sich. Der Glassplitter zerschmolz in seinen Händen, schrumpfte und verschwand. »Dann werdet Ihr Eure Abmachung also nicht einhalten?«
»Ich werde sie einhalten«, sagte sie. »Ich bin hier, nicht wahr? Ich tue das, was ich versprach.«
»Ja, das tut Ihr«, sagte Gamelin. »Seine Majestät sind erfreut. Er wird noch erfreuter sein, wenn Ihr eine Wahl trefft unter den Freiern, die er herbestellt hat.«
Averil atmete langsam ein. Sie hatte diese Aufforderung erwartet — nicht so bald, aber sie war darauf vorbereitet. »So viele Freier«, sagte sie. »Solch eine erlesene Schar. Ich werde Zeit brauchen, alle in Erwägung zu ziehen.« »In der Tat«, sagte er. »Seine Majestät hat sie alle eingeladen, beim Fest des Heiligen Longinus mit Euch zu dinieren. Dort werdet Ihr Eure Wahl treffen, und dort werdet Ihr Euch vermählen, und das Königreich wird frohlocken.« Einen Moment lang herrschte vollkommene Leere in Averils Kopf. Longinus? Der Paladin, der ihr Vorfahre war? Sein Fest? Aber das war ja … »Das ist ja in einem Monat«, sagte Averil.
»In vierundzwanzig Tagen«, sagte Gamelin. »Genügend Zeit für Euren aufgeweckten Verstand, Comtesse. Ihr hattet schließlich ein ganzes Jahr Zeit, darüber nachzudenken. Sicher habt Ihr Eure Aussichten erwogen.« »Ich habe all meine Möglichkeiten bedacht«, sagte Averil ruhig. »Ich lehne die Einladung ab. Ich werde mein Versprechen einhalten, aber zu einem von mir selbst gewählten Zeitpunkt. Ich werde mich nicht zu unziemlicher Hast drängen lassen.«
»Ihr werdet tun, was Euer König befiehlt«, sagte Gamelin. »In vierundzwanzig Tagen werdet Ihr heiraten, Comtesse. Denkt gründlich darüber nach, für welchen Mann Ihr Euch entscheidet. Ihr werdet an ihn gebunden sein, so lange Ihr beide lebt.«
Das mag nicht lange sein, dachte Averil kühl und gelassen. Immer schon hatte sie diese Gabe oder diesen Fluch gehabt, innerlich ruhig zu werden, wenn jede andere in helle Panik geraten würde.
Der König brauchte einen Thronerben. Er war nicht gewillt oder vielleicht nicht in der Lage, diesen Mangel selbst zu beheben. Seine nächste Verwandte, sein Schwesterkind, war jung und kräftig und voraussichtlich fruchtbar. Man würde Zauber wirken und Magie ausüben, daran hatte Averil keinen Zweifel. Dann, wenn sie als Gebärwerkzeug nicht mehr gebraucht wurde, würde er sich ihrer entledigen und das Kind als sein eigenes aufziehen.
All dies sah sie in den Augen des falschen Priesters, ein Plan so simpel, so perfekt, dass er nicht fehlschlagen konnte. Auch das war eine Gabe, zu sehen, wie unterschiedliche Teile sich zu einem Ganzen fügten und das Herz eines Mannes zu durchschauen, selbst wenn es so kalt war wie das einer Schlange und kaum menschlicher.
Sie hatte den König hinters Licht führen wollen, wollte eine Wahl und eine Verlobung vortäuschen, dann in die Sicherheit ihres Herzogtums flüchten und die Hochzeit so lange aufschieben, bis der Bräutigam oder der König das Warten satt hatte. Sie hätte sie jahrelang hinhalten können, wenn Clodovec oder sein Berater nicht mindestens genauso klug gewesen wären wie sie selbst.
Vierundzwanzig Tage. So wenig Zeit blieb ihr, sich selbst, ihr Herzogtum und vielleicht sogar ihre Welt zu retten.
»Ich werde gründlich nachdenken«, sagte sie zu dem Mann des Königs, der auch sein Gebieter sein mochte — wer wusste das schon?
»Ihr werdet eine weise Entscheidung treffen, Comtesse«, sagte Gamelin. »Das wäre zu hoffen«, sagte Averil.
Dann verließ er sie, den alten und neuen Göttern zum Dank. Averil ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen. Eine ganze Weile konnte sie kaum atmen. So bald, so bald. Sie rappelte sich hoch und schnappte nach Luft. Die Zeit, die ihr blieb, musste reichen. Sie würde herausfinden, was der König tat, während der Hof tanzte und schlemmte und sich von früh bis spät vergnügte. Sie würde einen Mann auswählen, den sie ertragen konnte, oder wenn das nicht gelang, einen, den sie schnellstmöglich wieder loswerden konnte. Sie würde sich ihren Weg durch all die Gruppierungen bahnen, die sie umschwirrten und auf diese Weise vielleicht Beistand oder Rettung finden.
Ihr blieb keine andere Wahl.
Sie
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