Das magische Land 2 - Das Amulett der Schlange
fertigen.« »Das mag sein«, erwiderte Darienne. »Es ist ziemlich gering, doch es hat seinen Nutzen.«
»Es fängt Magie ein«, sagte Averil. »Kann es auch eine Seele einfangen?« »Vielleicht«, sagte Darienne. »Oder es mag einer Seele, die gestohlen wurde, Zuflucht bieten, um ihren Körper wiederzuerlangen.«
Averil hielt inne. Hinter der abgeklärten Miene ahnte sie einen tiefen, schrecklichen Schmerz. »Euer Sohn?«
»Zwei Söhne«, sagte Darienne. »Mein Jüngster starb, dem Guten Gott sei Dank, an einem Fieber, bevor man ihm die Seele nehmen konnte. Er ist sicher bei Gott.«
Es gab keine Worte, um solches Leid zu trösten. Averil konnte nur sagen: »Jetzt verstehe ich.«
»Tut Ihr das, Comtesse?«
»Ich habe diese Soldaten gesehen«, sagte Averil. »Ich sah, wie er sie nimmt und zu seinen Sklaven macht. Er stellt Armeen auf für den Tag, wenn die Schlange zurückkehrt — um für sie zu kämpfen, um sie zu füttern. Um alles zu unterwerfen, das ihm nicht schon gehört.«
Darienne senkte den Kopf. »Ja. Ja, wir haben es auch gesehen. Wir alle haben Angehörige, Diener, Vasallen verloren. Einige verloren ganze Städte und Dörfer: Alle Männer wurden fortgenommen und die Frauen blieben zurück und müssen sich allein durchschlagen.«
»Und Ihr tatet nichts, um ihn aufzuhalten.«
»Er kann nicht aufgehalten werden«, sagte Darienne in beherrschtem Ton. »Keine Magie kann ihn berühren. Wir haben es versucht, bei Gott, das haben wir! Dieses kleine Ding, das uns so großartig erscheint, ist für ihn nichts weiter als ein Kinderspielzeug. Was wir tun, bringt ihn noch nicht einmal ins Wanken.«
»Er übt eine andersartige Magie aus«, sagte Averil. »Schlangenmagie. Ihr müsst lernen, anders zu sehen und zu denken, aus den Beschränkungen des Glases auszubrechen und durch die freie Luft zu fliegen.«
»Dann ist es also wahr«, sagte Darienne. »Ihr habt die Orden verlassen. Ihr habt Euch auf etwas anderes eingelassen … auf eine andere Magie.« »Wilde Magie«, sagte Averil. Allzu deutlich konnte sie Dariennes Entsetzen spüren. Sie hatte es geteilt; sie mochte immer noch nicht allzu intensiv darüber nachdenken, was sie tat oder was sie war. Für die Magierorden war wilde Magie etwas Schreckliches, Ungezügeltes, Gefährliches. Jene, die sich auf sie einließen, wurden für wahnsinnig gehalten.
Schlangenmagie war schlimmer. »Unsere Ausbildung behindert uns«, sagte Averil. »Sie macht uns blind. Der König weiß das und nutzt es skrupellos aus. Wir müssen lernen, über unsere strengen Kriterien, Regeln und Beschränkungen hinauszuschauen. Wir müssen andere Arten von Magie zulassen. Es gibt keinen anderen Weg, Widerstand gegen ihn zu leisten.« Darienne erschauerte. Dennoch lachte sie — schmerzlich, aber aufrichtig. »Mir ist, als würde ich der Schlange selbst gegenüberstehen und der Versuchung nachgeben. Wir werden alle unsere Seelen verlieren. Nicht wahr?« »Ich hoffe nicht«, sagte Averil. »Ich hoffe, wir werden sie wiederfinden, stärker als zuvor.«
»Das wäre ein Wunder«, sagte Darienne.
»Ich hoffe darauf«, sagte Averil. »Ich bete, dass es bald geschieht. Der König hat mir seinen Befehl gegeben. In dreiundzwanzig Tagen muss ich einen Mann auswählen und heiraten.«
»Oh«, sagte Darienne und blieb so lange stumm, bis Averil sich fragte, ob sie ihre Worte verstanden hatte. Schließlich sagte sie: »Er will sich Eurer gewiss sein.«
»Und ich? Kann ich mir irgendeiner Sache gewiss sein? Gibt es in Lys einen Mann, der bislang keine Ehefrau hat und dem ich trauen kann?« »Nicht dass ich wüsste«, sagte Darienne mit offensichtlichem Bedauern. »Nicht einmal unter den Botschaftern aus dem Ausland?«
»Unter denen am allerwenigsten«, sagte Darienne.
Sie wusste von Prinz Esteban. Es konnte ihrer Aufmerksamkeit kaum entgangen sein. Aber sie schien sich ihres Urteils ziemlich sicher. Das war sich Averil letztendlich auch. Sie wusste nicht, was sie fühlte. Erleichterung? Bedauern? Der Mann aus Moresca war ein wunderschönes Wesen, doch das war die Schlange auch: glatt und geschmeidig. Sie zog sich an den Fäden des Netzes entlang zurück, für kurze Zeit gefolgt von Dariennes Erstaunen. Die Wärme ihres Körpers war willkommen, das schlagende Herz, das die Seele sicher umschloss. Sie fand Schlaf und Ruhe und ausnahmsweise keinen Traum, an den sie sich am nächsten Morgen erinnerte.
Kapitel 9
Nach jenem ersten Maskenball hatte Prinz Esteban wohl überlegt Abstand gehalten.
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