Das magische Land 2 - Das Amulett der Schlange
uns befreit?«
»Das möchten die Priester uns glauben machen«, antwortete Esteban und ließ den Finger über den Schwanz der Schlange gleiten. Das hätte Averil niemals gewagt, aber es schien keine Folgen zu haben. »Hat uns der Junge Gott befreit, oder hat er uns nur einer anderen Sklaverei unterworfen? Unsere Magierorden sind sehr streng in dem, was sie erlauben; alles was sich ihren Einschränkungen widersetzt, wird ohne Gnade zermalmt. Unsere Edelleute sind gezwungen, sich gegenseitig zu heiraten; wenn sie ihre Liebe außerhalb der Adelshäuser finden, wird diese Liebe als Sünde verdammt und ihren Nachfahren wird das Erbe versagt. Was die Orden und Adelshäuser nicht in Ketten legen, wird von der Kirche geknebelt. Unsere gesamte Welt ist eingeschlossen in Glas, und dennoch bringt keiner von uns den Willen zur Flucht auf.«
Averil presste die Lippen zusammen. Seine Worte waren verführerisch, und das meiste von ihnen entsprach der Wahrheit. Sie hatte dasselbe in den Wildländern gehört, von Wesen, die weitaus schlimmer unter der Weltordnung gelitten hatten als jeder Sterbliche.
»Selbst wenn das so ist«, sagte sie, »so würde doch kein Magier oder Priester tun, was der König und seine Diener getan haben. Wie sehr die Gesetze uns auch einschränken mögen, so behalten wir doch die Ganzheit unserer Seelen.« »Tun wir das?«
»Ich schon.«
»Ihr seid in einer außerordentlich glücklichen Lage, Comtesse, und dennoch müsst Ihr einen Ehemann wählen, wie das Gesetz es von Euch verlangt.« Averils Herz krampfte sich zusammen. Er musste wissen, was in vierzehn Tagen geschehen würde — dieser Mann wusste alles. Sie sah ihm erneut ins Gesicht. »Warnt Ihr mich davor, dass Ihr mich, sollte ich Euch zum Ehemann wählen, zu Eurer Sklavin machen werdet?«
Seine Mundwinkel zuckten. »Nur wenn Ihr eine Sklavin der Liebe wärt, Comtesse, und nur, wenn Ihr dasselbe mit mir machen würdet.« Das war höfisches Geplänkel, aber bevor sie ihn deswegen zurechtwies, studierte sie sorgfältig sein Gesicht. Sie konnte keine Falschheit darin entdecken.
Schlangen logen. Das hatte man sie gelehrt. Sie waren unaufrichtig, kaltherzig und zutiefst bösartig.
Unaufrichtig, das konnte sie glauben, das waren die meisten Menschen. Das Herz dieses Mannes war nicht kalt. Kühl und beherrscht, ja, und sorgfältig kontrolliert, aber darunter loderte Leidenschaft.
Böse? Nein. Er war nicht, was sie einen guten Mann nennen würde, doch er war auch kein schlechter Mann. Er war interessant. Er brachte sie dazu, mehr über ihn wissen zu wollen.
»Ihr seid ein Abtrünniger«, sagte sie, »und fühlt Euch Mächten verbunden, die längst von der Welt verbannt wurden. Meine Seele würde verdammt sein, wenn ich Euch über den Weg traute.«
»Vielleicht würde sie das«, sagte er. »Oder sie würde vielleicht gerettet.« »Angenommen, ich glaube Euch«, sagte sie. »Angenommen, wir gehen ein Bündnis ein. Ich bin die Feindin des Königs, jetzt und für immer. Ich werde es nicht dulden, dass er die Welt nach seiner Vorstellung umwandelt. Könnt Ihr Euch mit mir gegen ihn erheben? Werdet Ihr es tun?«
»Ich möchte eine freie Welt«, sagte er, »ohne falsche Lehren, weder die der Kirche noch die der Magier noch die des Verräterkönigs.«
Averils Atem ging schnell und flach. Sie stand kurz davor, ihm zu verraten, wer sie wirklich war: Welche Formen der Magie in ihr existierten und wer ihre andere Hälfte war.
Sie wäre verrückt, ihm so weit zu vertrauen. Um ihrer selbst willen mochte es ihr einerlei sein, aber Gereint und der Rosenorden waren untrennbar darin eingebunden. Für sie blieb sie stumm.
Esteban berührte ihre Wange. Sie zitterte, obwohl seine Hand warm war. »Wärt Ihr gern frei, Comtesse? Frei, in der Wahl eines Geliebten? Frei, um jene Magie auszuüben, die wirklich zu Euch gehört?«
»Was wäre der Preis dafür? Eine Ehe mit Euch?« »Wenn es Euer Wille ist«, sagte er.
»Und Ihr? Wen würdet Ihr wählen, wenn Ihr frei wärt? Wäre ich genauso verlockend, wenn ich nicht die Herzogin von Quitaine wäre?«
»Ihr wärt wunderschön, auch wenn Ihr als Sklavin geboren wärt«, sagte er. »Aber würdet Ihr mich dann auch als Ehefrau wollen?«
Ein warmes Lächeln trat auf seine Lippen. »Ich wäre in Versuchung«, sagte er. »Nur in Versuchung?«
Er zog ihre Hand an seine Lippen. Sie spürte seine Berührung am ganzen Körper. Ohne es zu wollen, sah sie ihn wie in ihrem Traum: nackt auf einem zerwühlten Bett. Die Frau neben
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