Das magische Land 2 - Das Amulett der Schlange
Sterblicher haben sollte.
Konnte es daran hegen, dass er kein Sterblicher war?
Der Gedanke ließ Averil innehalten. Gereint war gottgeboren, wie man auf dem Lande sagte: ein Kind ohne Vater. Seine Mutter hatte niemals den Namen des Mannes gesagt, bei dem sie gelegen hatte, noch hatte irgendjemand Ansprüche auf den Sohn erhoben, der aus dem Beischlaf entstanden war. Für sie blieb nichts weiter als eine grimmige Abneigung gegen jedwede Magie und die strikte Weigerung, ihren Sohn seinen Gaben entsprechend ausbilden zu lassen.
Wenn ein Magier sie geliebt und verlassen hätte, würde das vieles erklären. Wenn er mehr gewesen wäre als ein Magier …
So etwas gab es dieser Tage nicht mehr. Die alten Götter und Dämonen waren verschwunden, verschluckt von der Schlange oder von der Kirche des Jungen Gottes, die an ihre Stelle getreten war. Es musste ein umherziehender Zauberer gewesen sein oder ein Edelmann, der sich eine Weile in dem abgelegenen Dorf aufgehalten hatte und dann in seine eigene Welt zurückgekehrt war; oder ein wilder Magier, der die Gestalt eines Bauern angenommen hatte und nach einem Tag oder einer Woche wie ein Blatt im Wind seiner ungezügelten Magie davongeflogen war.
Ein wilder Magier würde vieles erklären. Averil schnitt einen Apfel in mundgerechte Stücke, tauchte sie in Honig und aß sie bewusst langsam, damit die Süße ihren Geist erfüllte und die nutzlosen Gedanken aus ihrem Kopf vertrieb. Welche Rolle spielte es, von wem Gereint gezeugt worden war? Er war, wie er war, einerlei, woher er gekommen war.
Er ahnte nichts von ihren verwickelten Gedankengängen. Er aß mit herzhaftem Appetit, lachte und scherzte mit ihrem Gastgeber und legte sich ins Zeug, um von ihrer Schweigsamkeit abzulenken.
Manchmal wünschte sie, sie könnte so arglos sein wie er. Sie schob ihren fast leeren Teller beiseite, überlegte, ob sie den Likör trinken sollte, wagte jedoch nicht, ihren Verstand zu vernebeln und wartete, bis die anderen fertig waren. Es schien, als hätten sie auf sie gewartet. Wundersamerweise bekam sie von ihrer sonnigen Freundlichkeit kein Sodbrennen.
Sie mochte es zwar kaum zugeben, aber nach dem Untergang des Schiffes, der Trauer und der nagenden Unzufriedenheit, war ihr dieses Zwischenspiel im Land des ewigen Frühlings durchaus willkommen. Wenn sie in der Lage gewesen wäre, ihre Ängste und Sorgen loszulassen, könnte sie hier etwas Ähnliches wie Frieden finden.
Im Tod war auch Frieden. Aber fürs Erste mochte sie noch nicht sterben. Sie nickte Messire Perrin kurz zu und verlieh ihrem Gesicht ein Ausdruck kühler Höflichkeit. »Ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft«, sagte sie.
Er erwiderte ihre Verbeugung. »Sie wird Euch mit Freuden gewährt.« Damit hatten sie dem Anstand Genüge getan. Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch und beugte sich ein wenig vor. »Nun denn, Messire. Ihr habt uns sicher nicht wegen unserer angenehmen Gesellschaft hergebracht. Was wollt Ihr von uns?«
Er grinste. »Das tat gut, nicht wahr? Wie lange musstet Ihr Euch verstellen?« »Zu lange«, sagte sie.
»Höfe sind eine schreckliche Strapaze für aufrichtige Gemüter«, stimmte er zu.
Er hatte Charme, das musste Averil ihm lassen. Sie würde sich jedoch nicht verleiten lassen, ihn zu mögen. »Werdet Ihr meine Frage beantworten?« Er verbeugte sich mit dem richtigen Quäntchen Spott, um sie ein wenig zu reizen, ohne ihren Zorn zu erwecken. »Ich habe eine Frage an Euch, Comtesse. Was wisst Ihr über das große Mysterium der Ratter?«
Damit hätte sie niemals gerechnet, aber Messire Perrin hatte anscheinend eine Schwäche für das Unerwartete. Ihre Antwort war unverblümt, aber einigermaßen höflich. »Weniger als die Ritter wissen, da bin ich sicher. Der König von Lys ist auf der Jagd danach. Seine Rivalen hoffen, er findet es, damit sie es an sich bringen können. Die Ritter sollten wissen, wo es ist. Habt Ihr sie gefragt?«
»Die Ritter wissen nichts«, erwiderte Perrin. »Jene, die es wussten, sind tot.« »Wer wusste es denn?«, fragte Gereint.
Perrin antwortete, ohne zu zögern. »Der Großmeister, seine beiden treuesten Großritter, und der Ritter, der es bewahrte. Nur vier, und immer nur diese vier, seit der Gründung des Ordens.«
»Aber wenn der König sie alle gefangen genommen und getötet hat, warum hat er dann nicht das Gefängnis der Schlange gefunden?«
»Vielleicht ist es keine reale Sache«, sagte Averil. »Wenn es Wissen ist oder ein Zauber, der nur in der
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