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Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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wäre er fast zusammengezuckt, so laut gellte ihre hohe, schneidende Stimme und so hart glitzerten ihre Augen. Doch er ließ den Zauber bewegungslos über sich ergehen.
     
    »Blut! Gehorche! Halte ein!
    Sei ein See und nicht ein Strom.
    Wenn du trittst ins Freie aus,
    gerinne! Eine Mauer schaffe,
    stark genug, die Flut zu halten!
    Blut, dein Himmel sei der Schädel,
    deine Sonne das off’ne Auge
    und dein Wind der Lunge Atem.
    In den Grenzen deiner Welt verweile!«
     
    Will meinte geradezu zu spüren, wie sein Körper mit jeder Faser auf ihren Befehl antwortete, und er sang mit und befahl seinem Blut, auf sie zu hören und zu gehorchen.
    Sie ließ seine Hand los und wandte sich dem kleinen Eisen  topf über dem Feuer zu. Ein bitter riechender Dampf stieg von ihm auf, und Will hörte das heftige Sprudeln der Flüssigkeit.
    Serafina sang:
     
    »Eichenrinde, Spinnenseide,
    Pulvermoos und Kräutersalz –
    fasst und bindet,
    haltet, schließt
    fest mit Schloss und Riegel.
    Stärkt die Wand aus Blut,
    trocknet aus die Flut.«
     
    Die Hexe zog ihr Messer und teilte einen Erlenschössling der Länge nach. Weiß schimmerte die Wunde im Mondlicht. Serafina strich etwas von der dampfenden Flüssigkeit darauf, fügte die beiden Hälften von unten nach oben wieder zusammen, und der Schössling war wieder ganz.
    Will hörte Lyra entsetzt einatmen, und als er sich um  drehte, sah er, dass eine andere Hexe einen zappelnden, sich windenden Hasen in den Händen hielt. Das Tier hatte die Augen aufgerissen und strampelte wie wild, doch die Hände der Hexe kannten kein Erbarmen. In der einen Hand die Vorderläufe, in der anderen die Hinterläufe, hielt sie den panischen Hasen ausgestreckt, den sich heftig hebenden und senkenden Bauch nach oben.
    Serafina schlitzte mit ihrem Messer darüber. Will merkte, wie ihm ganz schwindlig wurde, und Lyra musste Pantalaimon mit Gewalt festhalten, der aus Mitleid Hasengestalt an  genommen hatte und sich auf ihren Armen wie wild gebärdete. Der Hase wurde ganz still, seine Augen quollen heraus, seine Brust hob und senkte sich, und seine Eingeweide schimmerten feucht.
    Doch wieder träufelte Serafina etwas von ihrem Sud auf die klaffende Wunde, schloss sie mit den Fingern und strich das nasse Fell darüber, bis die Wunde verschwunden war.
    Die Hexe, die den Hasen hielt, ließ ihn vorsichtig zu Bo  den gleiten; dort schüttelte er sich, leckte sich die Flanken, zuckte mit den Ohren und knabberte an einem Grashalm, als sei er allein. Dann schien er plötzlich die Gegenwart der Menschen um ihn zu bemerken, schoss wie ein Pfeil davon und verschwand in der Dunkelheit.
    Lyra streichelte Pantalaimon beruhigend und sah Will an. Offenbar wusste er, dass die Salbe fertig war. Er streckte seine Hand aus, und als Serafina die dampfende Mixtur auf die blutenden Stümpfe seiner Finger strich, sah er weg und atmete ein paar Mal heftig ein, verzog aber keine Miene.
    Als die offene Wunde von der Salbe durchtränkt war, drückte die Hexe einige der eingeweichten Kräuter darauf und band sie mit einen Streifen aus Seide fest.
    Und das war alles. Jetzt musste der Zauber seine Wirkung tun.
     
     
    Den Rest der Nacht schlief Will tief. Es war kalt, aber die Hexen deckten ihn mit Blättern zu, und Lyra schlief an seinen Rücken geschmiegt. Am Morgen verband Serafina die Wunde noch einmal. Er versuchte an ihrer Miene abzulesen, ob die Wunde schon heilte, doch ihr Gesicht war ruhig und unbewegt.
    Nach dem Essen sagte Serafina den Kindern, da die Hexen auf der Suche nach Lyra und zu ihrem Schutz nun schon ein  mal in diese Welt gekommen seien, hätten sie beschlossen, ihr auch bei ihrer nächsten Aufgabe zu helfen, nämlich Will zu seinem Vater zu bringen.
    Schweigend machten sie sich auf den Weg. Lyra hatte zu  vor noch das Alethiometer befragt und erfahren, dass sie in Richtung der Berge marschieren mussten, die sie jenseits der großen Bucht in der Ferne sahen. Da sie bisher noch nie so hoch über der Stadt gewesen waren, hatten sie keine Vorstellung von der Landschaft und dem Verlauf der Küste gehabt, und der Horizont hatte die mächtigen Berge verdeckt; doch jetzt, als der Wald sich lichtete und das Gelände hin und wieder vor ihnen abfiel, sahen sie das leere, weite Meer unter sich und jenseits davon ihr Ziel, die hohen, blauen Berge. Es schien ein weiter Weg dorthin.
    Es wurde wenig gesprochen. Lyra war damit beschäftigt, das Leben des Waldes zu erkunden, von Spechten bis zu den Eichhörnchen und den

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