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Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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die nicht stimmten, oder sie tat Dinge, die sinnlos waren, jeden  falls in meinen Augen. Ich meine, sie musste diese Dinge tun, weil sie sich sonst so aufregte, dass sie vor allem Möglichen Angst hatte; deshalb habe ich ihr auch dabei geholfen, etwa alle Geländer im Park zu berühren oder die Blätter von Büschen zu zählen, solche Sachen. Nach einer Weile ging es ihr dann wieder besser. Aber ich hatte Angst, jemand könnte he­ rausfinden, dass sie solche Zustände hatte, weil ich glaubte, dass man sie mir dann wegnehmen würde, deshalb versorgte ich sie selbst, damit es nicht herauskam. Ich erzählte niemandem davon. Und einmal bekam sie Angst, als ich gerade nicht da war, um ihr zu helfen. Ich war in der Schule. Und sie ging aus, hatte aber nicht viel an, aber das wusste sie nicht. Und einige Jungen aus meiner Schule begegneten ihr und starrten sie an …«
    Wills Gesicht war heiß. Er war unwillkürlich aufgestanden, ging auf und ab und vermied es, Lyra anzusehen. Seine Stimme war unsicher und seine Augen feucht.
    »Sie quälten sie«, fuhr er fort, »wie die Kinder vor dem Turm die Katze … Sie hielten sie für verrückt und wollten ihr wehtun, sie vielleicht sogar umbringen – was mich nicht überraschen würde. Sie war anders und dafür hassten sie sie. Ich fand sie noch rechtzeitig und brachte sie nach Hause. Am nächsten Tag in der Schule prügelte ich mich mit dem Jungen, der ihr Anführer gewesen war. Ich brach ihm den Arm und schlug ihm glaube ich auch einige Zähne aus, ich weiß es nicht mehr. Ich wollte auch die anderen zusammenschlagen, aber dann dachte ich, dass es besser sei aufzuhören, weil die anderen davon erfahren würden, die Lehrer und Behörden meine ich, und sich bei meiner Mutter beschweren und dabei entdecken würden, wie es um sie stand, und sie mitnehmen würden. Also tat ich so, als bedaure ich es und sagte den Lehrern, ich würde es nicht mehr tun, und sie bestraften mich, und ich sagte nichts. Aber ich hielt meine Mutter versteckt, ja, und niemand außer den Jungen wusste Bescheid, und sie wussten, was ich tun würde, wenn sie etwas verrieten. Sie wussten, dass ich sie beim nächsten Mal umbringen würde, dass ich ihnen nicht nur wehtun würde. Und dann ging es ihr auch bald wieder besser. Niemand erfuhr je davon. Aber seit  dem traue ich Kindern genauso wenig wie Erwachsenen. Sie sind genauso darauf aus, Unheil anzurichten, und deshalb war ich auch nicht überrascht, als die Kinder in Ci’gazze uns an  griffen. Aber ich war froh, als die Hexen kamen.«
    Er setzte sich wieder, mit dem Rücken zu Lyra und immer noch, ohne sie anzusehen, und wischte sich mit der Hand über die Augen. Sie tat, als bemerke sie es nicht.
    »Will«, sagte sie, »was du von deiner Mutter erzählt hast… und als die Gespenster Tullio anfielen … gestern meintest du, die Gespenster kämen aus deiner Welt …«
    »Ja, weil das, was mit meiner Mutter passiert ist, keinen Sinn ergibt. Sie ist nicht verrückt. Diese Kinder mögen sie für verrückt halten und sie auslachen und versuchen, ihr wehzutun, aber sie hatten Unrecht, sie war nicht verrückt. Sie hatte nur Angst vor Dingen, die ich nicht sehen konnte. Und sie musste Dinge tun, die verrückt wirkten, man konnte nicht verstehen warum, aber für sie ergaben sie offenbar einen Sinn. Etwa wenn sie die Blätter zählte oder Tullio gestern die Steine der Mauer berührte. Vielleicht war das ein Versuch, die Gespenster abzuwehren, indem sie dem, was ihnen Angst machte, den Rücken zukehrten und sich mit aller Macht mit Steinen beschäftigten und damit, wie sie zusammenpassten, oder mit den Blättern an einem Busch, als ob sie, wenn sie das nur wirklich wichtig finden könnten, in Sicherheit wären. Ich weiß es nicht. Es scheint jedenfalls so. Einige Dinge, vor denen meine Mutter Angst hatte, gab es tatsächlich, wie die Männer, die bei uns einbrachen, aber das war nicht alles. Viel  leicht gibt es in meiner Welt also tatsächlich Gespenster, nur dass wir sie nicht sehen können und keinen Namen für sie haben, aber sie sind da und versuchen immer wieder meine Mutter anzufallen. Deshalb war ich gestern so froh, als das Alethiometer sagte, es gehe ihr gut.«
    Sein Atem ging rasch und seine rechte Hand hielt den Griff des Messers in der Scheide umklammert. Lyra schwieg und Pantalaimon saß bewegungslos auf einem Ast.
    »Wie lange weißt du schon, dass du deinen Vater suchen musst?«, fragte sie nach einer Weile.
    »Schon lange«, sagte er. »Ich habe

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