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Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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mir immer vorgestellt, er sei irgendwo gefangen und ich würde ihm helfen zu fliehen. Ich spielte das für mich allein, und diese Spiele konnten Tage dauern. Oder er war auf einer einsamen Insel, und ich fuhr hin und holte ihn nach Hause. Und er wusste dann ganz genau, was zu tun war, vor allem mit meiner Mutter, und es ging ihr dann besser, und er sorgte für sie und mich, und ich ging einfach in die Schule, hatte Freunde und Mutter und Vater. Deshalb sagte ich mir immer, wenn ich groß bin, suche ich meinen Vater … Und meine Mutter sagte zu mir, ich würde einmal das Werk meines Vaters fortsetzen. Sie sagte das, um mich zu ermutigen. Ich wusste nicht, was es bedeutete, aber es klang wichtig.«
    »Hattest du keine Freunde?«
    Er sah sie erstaunt an. »Wie hätte ich Freunde haben sollen? Freunde … die kommen zu dir nach Hause, kennen deine Eltern und … Manchmal hat ein Junge mich zu sich nach Hause eingeladen, und ich ging hin oder nicht, aber ich konnte niemanden zu mir einladen. Deshalb hatte ich eigentlich nie Freunde. Natürlich wäre das schön gewesen … Ich hatte meine Katze. Hoffentlich geht es ihr gut, hoffentlich kümmert sich jemand um sie …«
    »Und der Mann, den du umgebracht hast?«, fragte Lyra, und ihr Herz schlug heftig. »Wer war das?«
    »Keine Ahnung. Es ist mir egal, ob ich ihn umgebracht habe. Er hat es verdient. Sie waren zu zweit. Sie kamen dauernd zu uns nach Hause und bedrängten meine Mutter, bis sie wieder Angst hatte, mehr als zuvor. Sie wollten alles über meinen Vater wissen und ließen sie nicht in Ruhe. Ich weiß nicht, ob sie Polizisten waren oder was sonst. Zuerst dachte ich, sie gehörten zu einer Bande und glaubten, mein Vater hätte eine Bank ausgeraubt und das Geld versteckt. Aber sie wollten kein Geld, sie wollten bestimmte Papiere, Briefe, die mein Vater geschrieben hatte. Eines Tages brachen sie in unser Haus ein, und da merkte ich, dass meine Mutter hier nicht mehr sicher war. Ich konnte ja nicht zur Polizei gehen und sie um Hilfe bitten, weil die Polizei dann meine Mutter mitgenommen hätte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
    Schließlich fragte ich die alte Frau, bei der ich früher Klavierunterricht hatte. Sie war die einzige Person, die mir einfiel. Ich fragte sie, ob meine Mutter bei ihr wohnen könnte, und brachte sie hin. Ich glaube, dort ist sie gut versorgt. Dann ging ich wieder zu uns nach Hause, um nach den Briefen zu suchen, und ich fand sie, und die Männer kamen wieder und brachen wieder bei uns ein. Es war Nacht, oder früher Morgen. Ich versteckte mich oben an der Treppe, und Moxie, meine Katze Moxie, kam aus dem Schlafzimmer, und ich sah sie nicht und der Mann auch nicht, und als ich mich auf ihn warf, stolperte er über sie und fiel die ganze Treppe hinunter …
    Und ich rannte weg. Das war alles. Ich wollte ihn ja gar nicht töten, aber wenn ich es getan habe, ist es mir egal. Ich rannte weg, fuhr nach Oxford, und dort entdeckte ich das Fenster, aber nur, weil ich die andere Katze sah und stehen blieb, um ihr zuzusehen, und sie entdeckte das Fenster zuerst. Wenn ich sie nicht gesehen hätte … oder wenn Moxie nicht aus dem Schlafzimmer gekommen wäre, dann …«
    »Stimmt«, sagte Lyra, »das war Glück. Und ich und Pantalaimon haben gerade darüber gesprochen, was gewesen wäre, wenn ich mich nicht im Schrank im Ruhezimmer von Jordan College versteckt hätte und gesehen hätte, wie der Rektor Gift in den Wein schüttete? Dann wäre auch nichts von all  dem passiert …«
    Schweigend saßen sie nebeneinander auf dem bemoosten Stein in der Sonne, die schräg durch die alten Pinien fiel, und dachten daran, wie viele Zufälle dazu beigetragen hatten, dass sie jetzt hier waren. Wie oft hätte es auch anders kommen können! Ein anderer Will in einer anderen Welt hätte das Fenster in der Sunderland Avenue vielleicht nicht gesehen und wäre müde und einsam Richtung Mittelengland weiter  marschiert, bis man ihn erwischt hätte. Und ein anderer Pantalaimon in einer anderen Welt hätte eine andere Lyra viel  leicht dazu überreden können, nicht im Ruhezimmer zu bleiben, und ein anderer Lord Asriel wäre vergiftet worden, und ein anderer Roger wäre noch am Leben, um für alle Zeiten auf den Dächern und in den Gassen eines anderen Oxford mit dieser Lyra zu spielen.
    Bald hatte Will sich wieder einigermaßen erholt, und sie folgten dem Weg weiter durch den stillen, großen Wald.
     
     
    Sie marschierten den ganzen Tag, immer wieder Pausen ein

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