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Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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blieb ausdruckslos.
    Sie zitterte immer noch, als sie die Labortür aufschloss. Das Gebäude war nie anders gesichert worden als durch Türschlösser und einen älteren Pförtner, aber sie wusste, warum sich das jetzt geändert hatte. Es blieb ihr also nur sehr wenig Zeit. Sie musste es gleich beim ersten Mal richtig machen, denn sobald bemerkt wurde, was sie tat, würde man sie nicht mehr herein  lassen.
    Sie schloss hinter sich zu und ließ die Rollos herunter. Dann schaltete sie den Detektor an, zog eine Diskette aus der Manteltasche und steckte sie in den Computer. Kurz darauf war sie konzentriert dabei, jeweils zur Hälfte mit Hilfe von logischen Überlegungen, Vermutungen und dem Programm, an dem sie den ganzen Abend zu Hause geschrieben hatte, die Zahlen auf dem Bildschirm zu bearbeiten; eine Aufgabe, die etwa so komplex war wie die, drei Hälften zu einem Ganzen zusammenzufügen.
    Schließlich strich sie sich die Haare aus der Stirn und befestigte Elektroden an ihrem Kopf. Dann legte sie die Finger auf die Tastatur und begann zu tippen. Sie war sich überdeutlich jeder ihrer Bewegungen bewusst.
    Hallo. Ich weiß nicht genau, was ich hier tue. Vielleicht ist es verrückt.
    Die Worte ordneten sich ganz von selbst auf der linken Seite des Bildschirms an. Das war die erste Überraschung, denn sie verwendete kein Textverarbeitungsprogramm – sie hatte so  gar den größten Teil des Betriebssystems übersprungen –, und wie immer die Wörter sich formatierten, sie war nicht dafür verantwortlich. Sie spürte, wie sich ihre Nackenhaare auf  stellten, und sie spürte auf einmal das Gebäude, das sie um  gab, die dunklen Gänge, die summenden Geräte, die automatisch weiterlaufenden Experimente, Computer, die Tests überwachten und Ergebnisse aufzeichneten, die Klimaanlage, die Luftfeuchtigkeit und Temperatur überprüfte und regulierte, die Leitungen und Röhren und Kabel, die Adern und Nerven des Gebäudes, die wachten, lebendig waren … ja, geradezu Bewusstsein hatten.
    Sie versuchte es wieder.
     
    Ich versuche mit Worten zu tun, was ich bisher mit einem geistigen Zustand getan habe, aber...
    Noch bevor sie den Satz beenden konnte, raste der Cursor auf die rechte Seite des Bildschirms und schrieb:
     
    Stelle eine Frage.
     
    Es war die Sache eines Augenblicks.
    Sie hatte das Gefühl, als sei sie auf eine Stelle getreten, die gar nicht da war, und sie zuckte am ganzen Körper zusammen. Sie brauchte eine Zeit lang, bis sie sich wieder soweit beruhigt hatte, dass sie weitermachen konnte. Dann schrieb sie wieder, und sie hatte kaum fertig geschrieben, da leuchtete bereits die Antwort auf der rechten Seite des Schirms auf.
     
    Bist du ein Schatten?
    Ja
     
    Bist du dasselbe wie Lyras Staub? 
    Ja
     
    Und wie dunkle Materie?
    Ja
     
    Hat dunkle Materie Bewusstsein? 
    So ist es
     
    Was ich heute Morgen zu Oliver sagte, meine Idee über die menschliche Evolution, ist das –
    Ja. Aber du musst weitere Fragen stellen.
     
    Sie brach ab, holte tief Luft, stieß den Stuhl zurück und massierte sich die Finger. Ihr Puls raste. Alles, was hier passierte, war absolut unmöglich, ihre ganze Ausbildung, ihre Denkgewohnheiten, ihr Selbstverständnis als Wissenschaftlerin schrien stumm: Das ist falsch! Das passiert gar nicht! Du träumst! Und doch konnte sie es vor sich auf dem Bildschirm lesen: ihre Fragen und die Antworten eines anderen Bewusst  seins.
    Sie sammelte sich und tippte weiter, und wieder blinkten ohne erkennbare Verzögerung die Antworten auf.
     
    Das Bewusstsein, das diese Fragen beantwortet, ist nicht das eines Menschen, oder?
    Nein. Aber die Menschen kennen uns schon immer.
     
    Uns? Seid ihr mehrere? 
    Unzählige Milliarden.
     
    Aber wer seid ihr?
     Engel.
     
    Mary Malone schwirrte der Kopf. Sie war katholisch er  zogen worden, und mehr noch, sie war, wie Lyra herausgefunden hatte, früher Nonne gewesen. Von ihrem Glauben war inzwischen nichts mehr übrig, aber sie wusste, was Engel waren. Der heilige Augustinus hatte gesagt: »Engel ist der Name ihres Amtes, nicht ihrer Natur. Suchst du den Namen ihrer Natur, so ist er Geist; suchst du den Namen ihres Amtes, so ist er Engel; in ihrem Sein Geist, in ihrem Tun Engel.«
    Schwindlig und zitternd tippte sie weiter.
     
    Sind Engel Wesen aus Schattenmaterie? 
    Strukturen, Komplizierungen
     
    Aus Staub?
    ja
     
    Und Schattenmaterie ist das, was wir Geist nennen?
    In unserem Sein Geist, in unserem Tun Materie. Geist und Materie sind eins.
     
    Sie

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