Das Magische Messer
du dir ein sehr sehenswertes Museum ausgesucht. Was interessiert dich denn besonders?«
Es war schon lange her, dass jemand sie so verunsichert hatte wie dieser Mann. Auf der einen Seite war er nett und freundlich und sehr sauber und elegant angezogen, auf der anderen Seite regte sich Pantalaimon unruhig in ihrer Brusttasche und beschwor sie vorsichtig zu sein, weil der Mann auch ihn vage an etwas erinnerte. Und von irgendwoher kam ein Geruch oder eigentlich nur die Andeutung eines Geruches nach Kot und Verwesung. Iofur Raknisons Palast fiel ihr ein, mit seiner parfümierten Luft und dem dick mit Schmutz bedeckten Boden.
»Was mich interessiert?«, fragte sie. »Och, alles Mögliche. Aber diese interessanten Schädel habe ich eben erst gesehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand das mit sich machen lässt. Das ist doch schrecklich.«
»Na, mir würde es auch nicht gefallen, aber ich versichere dir, es passiert heute noch. Ich könnte dich sogar mit jemandem bekannt machen, der es hat machen lassen.« Er sah sie so freundlich und hilfsbereit an, dass sie versucht war, auf sein Angebot einzugehen. Doch dann kam seine kleine, dunkle, spitze Zunge heraus und züngelte schnell wie die Zunge einer Schlange über seine Lippen. Lyra schüttelte den Kopf.
»Ich muss gehen«, sagte sie. »Vielen Dank für das Angebot, aber ich möchte lieber nicht. Außerdem muss ich jetzt los, weil ich mit jemandem verabredet bin. Mit meiner Freundin«, fügte sie hinzu, »bei der ich wohne.«
»Ja, natürlich«, sagte er freundlich. »Na denn, es war nett, mit dir zu plaudern. Auf Wiedersehen, Lizzie.«
»Wiedersehen«, sagte sie.
»Ach – nur für den Fall – mein Name und meine Adresse.« Er reichte ihr ein kleines Kärtchen. »Falls du doch einmal mehr über diese Dinge wissen willst.«
»Danke«, sagte sie höflich und steckte die Karte in die kleine Außentasche ihres Rucksacks. Dann ging sie. Sie spürte, wie er ihr nachsah, bis sie draußen war.
Sie verließ das Museum und ging tiefer in den Park hinein, in dem in ihrer Welt Kricket und andere Sportarten gespielt wurden. Schließlich fand sie unter einigen Bäumen ein ruhiges Plätzchen und packte dort erneut das Alethiometer aus.
Diesmal fragte sie, wo sie einen Wissenschaftler finden konnte, der über Staub Bescheid wusste. Die Antwort, die sie bekam, war einfach: in einem ganz bestimmten Zimmer in dem hohen, massigen Gebäude hinter ihr. Die Antwort war so direkt und so schnell gekommen, dass Lyra sicher war, das Alethiometer hatte noch etwas zu sagen. Sie spürte inzwischen, dass es Launen hatte wie ein Mensch, und merkte, wann es noch mehr mitteilen wollte.
Und so war es auch jetzt. Es sagte: Kümmere dich um den Jun gen. Deine Aufgabe ist, ihm zu helfen seinen Vater zu finden. Konzentriere dich darauf.
Sie starrte das Instrument an, aufrichtig verblüfft. Will war aus dem Nirgendwo aufgetaucht, um ihr zu helfen, soviel war klar. Dass umgekehrt auch sie den ganzen Weg bisher zurück gelegt hatte, um ihm zu helfen, verschlug ihr den Atem.
Doch das Alethiometer war noch nicht fertig. Wieder zuckte die Nadel, und sie las: Lüge die Person, die du jetzt auf suchst, nicht an.
Sie wickelte das Alethiometer wieder in den Samt ein und steckte es in den Rucksack. Dann stand sie auf und wandte sich dem Gebäude zu, in dem sie ihren Wissenschaftler fin den sollte. Befangen und trotzig machte sie sich auf den Weg.
Will hatte keine Mühe, die Bibliothek zu finden, und der Bibliothekar in der Nachschlageabteilung glaubte ihm auch so fort, dass er für ein Geographieprojekt in der Schule recherchierte, und suchte ihm die gebundenen Indexbände der Times für das Jahr seiner Geburt heraus, das Jahr in dem sein Vater verschwunden war. Will setzte sich und blätterte sie durch. Und tatsächlich, er fand einige Verweise auf John Parry in Zusammenhang mit einer archäologischen Expedition.
Jeder Monat der Times, stellte Will fest, war auf einem eigenen Mikrofilm. Nacheinander legte er die Filme in das Lesegerät ein, durchsuchte sie, bis er den entsprechenden Artikel gefunden hatte, und las mit grimmiger Aufmerksamkeit. Der erste Artikel berichtete über den Aufbruch einer Expedition ins nördliche Alaska. Finanziert wurde sie vom Institut für Archäologie der Universität Oxford, und sie sollte ein Gebiet untersuchen, in dem man hoffte, Spuren früher menschlicher Besiedlung nachweisen zu können. Begleitet wurde die Expedition von John Parry, vormals
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