Das Magische Messer
Museum sagst, hat mich erschreckt, weil… Nein, es ist einfach zuviel. Ich bin zu müde. Ich will dir ja gern zuhören, glaub mir, aber bitte nicht jetzt. Habe ich gesagt, dass das Labor geschlossen werden soll? Ich habe eine Woche Zeit für einen Antrag an den Ausschuss, der die Gelder bewilligt, aber wir haben keinerlei Hoffnung …«
Sie gähnte heftig.
»Was war das erste unerwartete Ereignis heute?«, fragte Lyra.
»Ach so, ja. Jemand, mit dessen Unterstützung ich für unseren Antrag gerechnet habe, hat sich zurückgezogen. So unerwartet war das ja im Grunde gar nicht.«
Sie gähnte wieder.
»Ich mache Kaffee«, sagte sie, »sonst schlafe ich noch ein. Willst du auch welchen?«
Sie füllte einen Wasserkocher und löffelte Pulverkaffee in zwei Becher. Lyra betrachtete derweil das chinesische Muster auf der Rückseite der Tür.
»Was ist das?«, fragte sie.
»Das ist chinesisch. Die Symbole des Yijing. Weißt du, was das Yijing ist? Gibt es das in deiner Welt auch?«
Lyra wusste nicht, ob das ironisch gemeint war, und sah sie misstrauisch an. »Einige Dinge sind bei uns gleich und einige sind verschieden. Ich kenne nicht alles, was es in meiner Welt gibt. Vielleicht gibt es dieses Yijing auch.«
»Entschuldigung«, sagte Dr. Malone. »Ja, du magst Recht haben.«
»Was ist dunkle Materie?«, fragte Lyra. »Steht das nicht draußen an der Tür?«
Dr. Malone setzte sich wieder und schob Lyra mit dem Fuß einen Stuhl zu.
»Dunkle Materie ist das, wonach mein Forschungsteam sucht. Niemand weiß, was es ist. Die Sache ist die: Draußen im All gibt es mehr Materie, als wir sehen können. Wir sehen die Sterne und Galaxien und alles, was scheint, aber damit das alles zusammenhält und nicht auseinander fliegt, muss noch viel mehr da sein – damit das mit der Schwerkraft funktioniert. Aber noch niemand hat dieses fehlende Etwas entdecken können. Deshalb gibt es viele verschiedene Forschungsprojekte, die herauszufinden versuchen, was es ist, darunter dieses.«
Lyra hörte ihr mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Endlich redete die Frau ernsthaft mit ihr.
»Und was glauben Sie, was es ist?«, fragte sie.
»Hm, was wir glauben, ist…«, begann sie, doch das Wasser kochte, und sie stand auf. Während sie den Kaffee anrührte, fuhr sie fort: »Wir glauben, dass es sich um eine Art Elementarteilchen handelt, etwas vollkommen anderes als alles bisher Entdeckte. Aber es ist sehr schwierig, diese Teilchen nachzuweisen … Wo gehst du zur Schule? Hast du schon Physik?«
Pantalaimon zwickte Lyra in die Hand, als Warnung, nicht wütend zu werden. Es war ja schön und gut, wenn das Alethiometer sagte, sie solle die Wahrheit sagen, aber sie wusste, was passieren würde, wenn sie die ganze Wahrheit sagte. Sie musste vorsichtig sein und sich darauf beschränken, direkte Lügen zu vermeiden.
»Ja«, sagte sie, »ein paar Sachen weiß ich schon. Aber nichts über dunkle Materie.«
»Also wir versuchen, diese kaum auffindbaren Teilchen irgendwo in dem Lärm, den die ganzen anderen Teilchen machen, wenn sie zusammenstoßen, zu entdecken. Normaler weise stellt man ein paar hundert Meter unter der Erde Detektoren auf, aber wir erzeugen stattdessen um den Detektor ein elektromagnetisches Feld, das die Dinge, die wir nicht brauchen können, abhält, und die, die wir brauchen, durch lässt. Dann verstärken wir das Signal und schicken es durch einen Computer.«
Sie reichte Lyra einen Becher mit Kaffee. Milch und Zucker gab es nicht, aber in einer Schublade fand sie einige Ingwerplätzchen. Hungrig nahm Lyra eines.
»Und wir haben sogar ein Teilchen gefunden, das passt«, fuhr Dr. Malone fort, »zumindest glauben wir, dass es passt. Aber es ist so seltsam … Warum erzähle ich dir das eigentlich? Das sollte ich doch gar nicht. Das Ganze ist weder veröffentlicht noch von einem unabhängigen Gutachter beurteilt worden, es existiert noch nicht einmal schriftlich. Ich glaube, ich bin heute Nachmittag nicht ganz bei Trost.«
Sie gähnte so lange, dass Lyra schon glaubte, sie würde nie aufhören. »Also … unsere Teilchen sind wirklich seltsame kleine Teufel. Wir nennen sie Schattenteilchen, oder Schatten. Weißt du, warum ich gerade fast vom Stuhl gefallen wäre, als du die Schädel vom Museum erwähnt hast? Einer aus unserem Team ist Amateurarchäologe. Und er hat eines Tages etwas entdeckt, das wir nicht glauben konnten. Aber wir konnten es auch nicht ignorieren, weil es zur verrücktesten Eigenschaft dieser Schatten passte.
Weitere Kostenlose Bücher