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Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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dann: »Ich muss einen Bus nach Nottingham kriegen und will ihn nicht verpassen. Aber können Sie mir nicht am Telefon sagen, was ich wissen will? Ich will nur wissen, ob mein Vater lebt und wenn ja, wo ich ihn finden kann. Das können Sie mir doch sicher sagen?« 
    »So einfach ist das nicht. Ich darf vertrauliche Informationen über einen Klienten eigentlich nur dann weitergeben, wenn ich sicher weiß, dass das in seinem Sinn ist. Außerdem müsstest du dich mir gegenüber sowieso irgendwie ausweisen.«  
    »Ja, ich verstehe das, aber können Sie mir nicht trotzdem sagen, ob er lebt oder tot ist?«
    »Hm … nein, das wäre nicht vertraulich, aber leider kann ich es dir sowieso nicht sagen, weil ich es gar nicht weiß.« 
    »Was?«
    »Das Geld kommt von einem Treuhandkonto. Dein Vater hat mich angewiesen, es auszuzahlen, bis ich etwas anderes von ihm höre. Ich habe aber bis heute nichts von ihm gehört. Das heißt im Grunde, dass er … tja, er scheint verschwunden zu sein. Deshalb kann ich deine Frage nicht beantworten.« 
    »Verschwunden … einfach so?«
    »Die Zeitungen haben damals darüber berichtet. Sieh mal, warum kommst du nicht einfach in mein Büro und–« 
    »Ich kann nicht. Ich muss doch nach Nottingham.« 
    »Gut, dann schreibe mir oder sage deiner Mutter, sie soll mir schreiben, und dann sage ich dir, was ich sagen darf. Aber du musst verstehen, dass ich am Telefon nicht viel tun kann.« 
    »Gut, Sie haben sicher Recht. Aber können Sie mir sagen, wo er verschwand?«
    »Wie gesagt, darüber wurde damals öffentlich berichtet, in verschiedenen Zeitungen. Du weißt, dass er Forschungsreisender war?«
    »Meine Mutter hat mir ein paar Dinge gesagt, ja …« 
    »Er leitete eine Expedition, die dann spurlos verschwand. Vor ungefähr zehn Jahren.«
    »Wo?«
    »Im hohen Norden, in Alaska, glaube ich. Du kannst es in der Stadtbibliothek nachlesen. Aber warum–«
    In diesem Augenblick war Wills Geld aufgebraucht und er hatte keine Münzen mehr. Der Wählton summte in seinem Ohr. Er legte den Hörer auf und sah sich um.
    Am liebsten hätte er jetzt mit seiner Mutter gesprochen. Er musste sich mit aller Kraft davon abhalten, Mrs. Coopers Nummer zu wählen, denn wenn er die Stimme seiner Mutter hörte, würde er es kaum übers Herz bringen, nicht zu ihr zu gehen, und das würde sie beide in Gefahr bringen. Aber er konnte ihr eine Postkarte schicken.
    Er wählte eine Stadtansicht und schrieb: 
     
     
    Liebe Mum, 
     
    mir geht es gut, und ich werde dich bald wiedersehen. Ich hoffe, bei dir ist auch alles gut.
     
    In Liebe, Will.
     
     
     Er adressierte die Karte, kaufte eine Briefmarke und drückte die Karte eine Minute lang an sich, bevor er sie in den Briefkasten fallen ließ. 
    Es war mitten am Vormittag, und er stand auf der Haupteinkaufsstraße, wo Busse sich den Weg durch Massen von Fußgängern bahnten. Plötzlich wurde ihm bewusst, wie sehr er hier auffiel. Es war ein Werktag, an dem ein Kind wie er eigentlich in der Schule zu sein hatte. Wohin sollte er gehen? 
    Er brauchte nicht lange, um sich zu tarnen. Zu verschwinden war für ihn keine Schwierigkeit, schließlich war er darin geübt; er war sogar stolz darauf. Er machte sich auf ähnliche Weise unsichtbar wie Serafina Pekkala auf dem Schiff: indem er sich darauf konzentrierte, nicht aufzufallen. Er verschmolz mit dem Hintergrund.
    Mit den Gepflogenheiten seiner Welt wohlvertraut, ging er in ein Papiergeschäft und kaufte einen Kugelschreiber, einen Block und ein Klemmbrett. Schulen schickten oft Gruppen von Schülern los, um eine Umfrage über Einkaufsgewohnheiten der Bevölkerung oder etwas Ähnliches zu machen, und wenn der Eindruck entstand, als nehme er an einem solchen Projekt teil, würde es nicht so aussehen, als habe er nichts zu tun.
    Und dann zog er los, tat so, als mache er sich Notizen, und hielt die Augen nach der Stadtbibliothek offen.
     
     
    Zur selben Zeit suchte Lyra nach einem ruhigen Ort, an dem sie das Alethiometer befragen konnte. In ihrem Oxford wäre sie zu Fuß in fünf Minuten an einem Dutzend solcher Orte gewesen, aber dieses Oxford war verwirrend anders – ab  wechselnd so vertraut, dass es geradezu wehtat, und dann wieder exotisch und fremd. Warum hatte man gelbe Striche auf die Straße gemalt? Was waren die kleinen weißen Flecken, die die Gehwege sprenkelten? (In Lyras Welt waren Kaugummis unbekannt.) Was bedeuteten die roten und grünen Lichter an der Straßenecke? All das war viel schwieriger zu

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