Das magische Portal - Weltennebel
sah er Tränen in ihren großen runden Augen schimmern. »Das hat noch niemals jemand zu mir gesagt … außer …« Rasch wandte sie sich ab, und Darian sah ihre Schultern zucken.
»Lilith, was hast du denn?« Unbeholfen streichelte er ihr über die feinen blonden Haare.
»Ich hatte niemals gedacht, dass sich ein Mann für mich interessieren könnte«, schluchzte sie plötzlich, »schon gar nicht ein Mensch.«
»Wer?«, wollte Darian wissen, und zum ersten Mal wurde ihm bewusst, dass es auch in Liliths Leben jemanden gab, den sie begehrte.
»Ohaman!« Lilith drehte sich um, und Tränen standen in ihren Augen. »Ich hatte mich in ihn verliebt, als wir damals, vor sechs Sommern am Stein von Alahant auf dich warteten. Er hat versprochen, zu mir zu kommen und mit mir hier zu leben.«
Fassungslos starrte Darian sie an, und dachte voller Schuldgefühle an den großen, ruhigen Zauberer mit dem struppigen braunen Bart. Dann nahm er Lilith in den Arm. »Das tut mir unendlich leid. Du musst mich hassen, denn es war meine Schuld, dass er starb.«
Lilith machte sich von ihm los und starrte ihn verwirrt an. Nach kurzem Zögern erzählte Darian von dem Angriff der Dunkelelfen in dem nächtlichen Wald und dass Ohaman ihnen abgeraten hatte, diesen zu betreten. Lilith hörte stumm zu, und am Ende senkte sie den Blick.
»Ich wusste nicht, dass er tot ist«, sagte sie mit belegter Stimme, dann lächelte sie traurig zu ihm auf, »und ich hasse dich nicht. Ich dachte, Ohaman hätte es sich anders überlegt und wollte mich nicht wiedersehen, weil ich eine Nebelhexe bin. Jetzt weiß ich zumindest, dass er es ernst mit mir gemeint hat.«
»Ich bin mir sicher, er hat dich aufrichtig geliebt, Lilith!«
Mit stummem Nicken stand die kleine Nebelhexe auf und ging zur Tür, wandte sich jedoch noch einmal kurz um. »Über dem Feuer hängt dein Schlaftrank. Ich werde dich ab heute nicht mehr einsperren.«
Nachdenklich blickte Darian ihr hinterher – die immer so gefasst wirkende Lilith hatte offensichtlich auch ihre Geheimnisse und Sorgen.
Nach einigen weiteren Tagen begann Darian wieder mit Holzschwertern zu trainieren. Außerdem hatte Lilith Tagilis, einen älteren Halbelfen, zu ihm geschickt. Der hochgewachsene Mann, der mehr an einen Elfen als an einen Menschen erinnerte, sollte Darian das Meditieren beibringen. Zu Anfang konnte dieser sich kaum konzentrieren. Der Gedanke an den Azetá ließ ihn einfach nicht los, und mehrfach verlor er vollkommen die Kontrolle über sich und ging auf Tagilis los. Doch dank der unerschütterlichen Geduld des Halbelfen machte Darian langsam Fortschritte.
»Werde eins mit dem Wind und den Wellen«, sagte Tagilis auch an diesem Tag mit seiner sanften Stimme, während sie am Rande einer Klippe saßen. Die Sonne fing sich in Tagilis’ hellem Haar und ließ sein schmales, edel geschnittenes Gesicht leuchten. »Leere deine Lungen, wenn sich die Wellen zurückbewegen, und atme tief ein, wenn sie wieder an den Strand rollen. Werde eins mit dem Ozean, dann wirst du Stille finden und dein Geist kann zur Ruhe kommen.«
Zunächst schweiften Darians Gedanken ständig ab, und er rutschte unruhig auf dem weichen Gras herum. Aber nach und nach gelang es ihm, sich auf das stetige Donnern der Brandung zu konzentrieren. Wie Tagilis es ihm schon so viele Male versucht hatte zu erklären, ließ er heute die überflüssigen Gedanken einfach mit dem Wind davonfliegen und versuchte, ein Teil des Ozeans zu werden. Darian gab sich den Wellen hin, lauschte auf die Geräusche des Meeres und auf seinen Atem. Irgendwann machte sich eine Veränderung in ihm breit, so als rolle eine Welle in seine Seele hinein, verbinde sich mit dem Rhythmus seines Atems – und dann war sie plötzlich da, die Stille, nach der er sich, ohne es zu wissen, gesehnt hatte. Als Darian die Augen wieder öffnete, stand die Sonne bereits deutlich tiefer im Westen.
Tagilis stand mit zufriedenem Lächeln vor ihm und hielt ihm zum Aufstehen die Hand hin. »Du hast es geschafft.«
»Danke. Ich danke dir vielmals, Tagilis«, sagte er aufrichtig und rannte zum Dorf zurück.
Lilith hängte gerade mit einigen der anderen Frauen Wäsche auf, Murk und die meisten Kinder arbeiteten auf den Feldern rund um die kleine Siedlung.
»Es ist mir gelungen!«, rief er strahlend und blieb keuchend vor ihr stehen. »Ich konnte meinen Geist leeren und meine Gedanken ziehen lassen.«
Lächelnd warf Lilith ein Betttuch über die Leine, dann nahm sie Darian am Arm und ging
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