Das magische Schwert
den Fingernägeln? Einer von euch hat ihm ein Messer zugesteckt, ihr trauriger, schäbiger, jämmerlicher Haufen von Fischmäulern!«
Neel untersuchte das Seil. Da war Blut. Er achtete nicht weiter auf die Maraki, die sich gegenseitig die Schuld gaben, und suchte den Boden ab. Etwas weiter links sah er einen roten Tropfen im Staub.
Er drückte sich zwischen den Menschen durch und hielt in dem wogenden Strom schwarzer Köpfe nach blondem Haar Ausschau. Er fing schon an, sich zu sorgen, dass er der falschen Spur gefolgt war, als jemand ein paar Stände weiter einen Geflügelkäfig umstieß. Über das Geschnatter hinweg hörte Neel den Standbesitzer auf Arabisch schreien: »Komm sofort wieder her, du weißer Teufel!«
Neel wurde schneller, rannte an hoch aufgestapelten türkischen Teppichen vorbei, und schließlich entdeckte er ihn, den blonden Kopf des Gadsche, der hinter einem Esel davonflitzte.
Neel konnte schnell rennen, aber er hatte ein noch viel wertvolleres Talent. Seine Fingerspitzen juckten. Als er sich den Weg an dem Esel vorbei freirempelte, spürte Neel, wie seine Finger wuchsen. Für jeden anderen, auch für Neel selbst, schienen Neels Finger immer noch dieselbe Länge zu haben wie sonst auch. Doch unsichtbar streckten sie sich über seine abgekauten Nägel hinaus. Neels Geisterfinger entfalteten sich, langten nach vorne, packten von hinten das Hemd des Gadsche und zogen ihn heran.
Der Junge wirbelte herum und schlug Neel ins Gesicht.
Neel taumelte zurück, sein Kopf schwirrte vor Schmerz, aber seine Geisterfinger ließen nicht los. Er spürte, wie sich der Böhme gegen den Griff wehrte, der viel kräftiger war, als ihn Neel nur mit Muskeln und Knochen hätte ausüben können, zwinkerte und versuchte, sich wieder zu konzentrieren. »Du verdammter kleiner …!« Die Worte erstarben ihm in der Kehle, als er wieder klarer sehen konnte.
Der Gadsche hielt ein Messer in der Hand. Es war durchsichtig wie Eis.
»Ich wollte dich nicht … ich wollte«, stammelte der Junge. »Ich wollte einfach nur hier weg!« Er schlug mit dem Messer nach Neels Arm.
Blut spritzte. Geschockt ließ Neel los, doch dann stürzte er sich auf den Gadsche und stieß ihn zu Boden. Stoßend und tretend kämpften die beiden Jungen miteinander. Benommen fragte sich Neel, auf welcher Seite und wo das Messer war, als sie von mehreren Händen getrennt wurden.
Die Maraki umringten sie. Andras hielt den Gadsche fest, der von Neels Blut verschmiert war.Treb stützte Neel.
»Er hat dich gebissen«, murmelte Treb auf Romanes. Er zog den zerrissenen Lappen weg, der Neels Ärmel gewesen war, und legte den langen pochenden Schnitt frei. »Geht es dir gut?«
Neel versuchte, aufrecht zu stehen. Er wandte sich von Treb ab, um den Gadsche anzublicken, dessen Hemd auch aufgerissen war. Der blonde Junge ließ den Kopf hängen. Plötzlich hob er ihn ruckartig und starrte Neel mit einem brennenden Blick an, mit einer Mischung aus Hass und Elend.
Ein Blick, der Neel mitten ins Herz hätte treffen können, doch er war von etwas anderem abgelenkt. Unterhalb des Gesichts des Gadsche sah Neel etwas Metallisches vom Hals des Jungen hängen.
Es war ein kleines Hufeisen.
Neels Geisterfinger schlossen sich um den Hals des Jungen. »Wo hast du das her?«
Die Eule von Sallay
G EHÖRT … MEINER Freundin …«, keuchte der Gadsche. »Petra.«
»Wie bist du an das Halsband gekommen?«, verlangte Neel zu wissen. »Wo ist sie?«
»Weiß nicht …«
»Neel, lass ihn los!«, befahl Andras.
»Wer bist du?« Neel schüttelte den Jungen.
»Tomik«, keuchte er.
Neels Geisterfinger lösten sich sofort.
»Ich heiße Tomas Stakan.« Der Junge rieb sich die Kehle. »Abgekürzt Tomik.«
Tomik . Neel kannte den Namen. Petra hatte ihn immer mit einem Unterton von Heimweh genannt.Tomik hatte die magischen Glaskugeln gemacht, mit denen sich Neel und Petra retten konnten, als sie aus der Burg des Prinzen flohen. Die eine Hand auf den blutenden Arm gedrückt, scharrte Neel mit den Sandalen im Staub des Marktplatzes. Seine Zehen stießen gegen etwas Hartes. Neel bückte sich und wischte den blutigen Staub beiseite. Das durchsichtige Messer glänzte, sein Griff war abgerundet und glatt, die Klinge klein, aber tückisch. Ein Messer, das aus Glas gemacht war? Neel blickte Tomik an und empfand widerwillig Hochachtung.
»Wir können ihn nicht verkaufen, Treb«, sagte Neel.
»Warum in aller Welt nicht?«
»Weil er schon einer Freundin von mir gehört.«
Andras band
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