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Das magische Schwert

Titel: Das magische Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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magisches Talent, dasjenige, das sie so hartnäckig zu ignorieren versuchte.
    Als Petra heute Dees Bibliothek betrat, saß er nicht wie gewöhnlich
an seinem Tisch, sondern er erwartete sie in einem Ledersessel und bedeutete ihr, sich in den ihm gegenüber stehenden zu setzen.
    Das tat sie und beschloss zu warten, bis er etwas sagte. Als er schweigsam blieb, gähnte sie betont.
    Keine Reaktion von Dee.
    Petra gähnte wieder, den Mund so weit aufgerissen wie möglich.
    »Warum hast du Angst vor Geistmagie?«, fragte Dee unvermittelt.
    Petra klappte der Mund zu.
    Dee blickte sie an, als wäre er bereit, den ganzen Tag auf ihre Antwort zu warten.
    Petra konnte spüren, wie angespannt Astrophil war, der hinter dem Vorhang ihrer offenen Haare nach ihrem Ohr griff. Ich würde gerne deine Antwort hören, Petra.
    »Ich will die Zukunft nicht wissen«, platzte es aus ihr heraus.
    »Warum nicht?«
    »Was ist, wenn … ich etwas Furchtbares sehe und es nicht ändern kann?«
    »Viele von uns sehen furchtbare Dinge, die wir nicht ändern können«, sagte Dee. »Als Spion der Königin mache ich den ganzen Tag nichts anderes außer Sehen und Hören, und es hat viele Gelegenheiten gegeben, bei denen ich mir gewünscht hätte, ich machte weder das eine noch das andere. Du kannst froh sein, dass deine Begabung nicht sehr ausgeprägt ist. Für diejenigen, die ein sehr starkes Zweites Gesicht haben, ist diese Magie wertlos. Sie sehen Maschinen, die durch die verflüssigten Knochen längst verstorbener Tiere funktionieren, und endlose Städte mit Gebäuden wie riesige Speere.
Dann kann das Zweite Gesicht fast schon ein Fluch sein, denn die Leute, die es haben, sind sich immer einer Zukunft bewusst, die so weit entfernt ist von unserer Zeit, dass es keine Rolle mehr spielt.«
    Petra dachte an ihre Mutter, die in die Zukunft sehen konnte. Wie weit hatte sie sehen können und wie viel hatte sie gewusst?
    »Deine Begabung«, fuhr Dee fort, »ist weitaus schwächer und weitaus besser.«
    Er wählte seine Worte mit Bedacht, als wären sie aus Glas - oder aber Petra. Sie fragte: »Warum? Warum ist sie besser?«
    »Was lässt ein Pferd wissen, dass ein Sturm aufkommt, oder einen Höfling erkennen, welches die richtigen Worte sind? Wir alle haben das und wir nennen es Eingebung. Ein inneres System aus Warnungen und Anregungen, das wir anwenden, ohne uns dessen bewusst zu sein. Du bist vielleicht nicht in der Lage, die Zukunft deutlich vorherzusagen. Du bist vielleicht nicht in der Lage, Gedanken zu lesen. Aber deine Eingebung ist stärker als die durchschnittlicher Menschen.« Er lächelte leicht. »Wenn du willst, könnte ich noch ein Messer nach deinem Kopf werfen, um das zu bewei-sen.«
    Ohne es zu wollen, lächelte Petra zurück. Dees Worte hatten ihr eine Erleichterung verschafft, von der sie nicht einmal gewusst hatte, dass sie sie brauchte. Also hatte sie nur ein wenig Geistmagie geerbt. Sie dachte, dass sie damit umgehen könnte. Ja, das könnte sie.
    »Aber, Petra«, sagte Dee, »du solltest dir dessen bewusst sein, dass diese Begabung, die Ariel ›Traumdenken‹ genannt hat, nur nützlich sein kann, wenn du an sie glaubst. Lass mich deutlicher werden. Du musst deine Angst beiseitelegen und lernen, dir selbst zu vertrauen.«

    Dazu sagte Petra nichts, denn das, was Dee sagte, war so einfach auszusprechen und so schwer hinzubekommen.
    Dee verschränkte seine Finger mit den langen Nägeln.
    »War’s das?«, fragte Petra.
    »Ja, du kannst gehen.«
    Sie hatte schon die Hand am Türgriff, als Dee rief. »Es gibt da noch eine Sache, die ich mit dir besprechen möchte.«
    Sie drehte sich um.
    Sein Gesicht hatte sich verändert. Es war wie versteinert. »Wenn ich das richtig verstanden habe, hast du versucht, mit meiner Frau Kontakt aufzunehmen. Mach das nicht noch einmal.«
    Das zerstörte den brüchigen Frieden zwischen ihnen.
    »Was wäre dann?«, stichelte Petra. »Schmeißt Ihr mich dann aus dem Haus?«
    Sie ging hinaus, solange sie noch das letzte Wort hatte.

    Mehr als eine Woche war vergangen. Petra fragte weiter nach Agatha Dee und wurde immer abgewiesen. Es machte ihr Spaß zu sehen, wie John Dees Mund immer schmaler wurde. Er wusste ganz genau, dass sie ihm nicht gehorchte, und sie wusste ganz genau, dass er nichts unternehmen würde, um sie daran zu hindern.
    Was Kit betraf, so wurden die Stunden bei ihm immer besser … und immer schlimmer. Als Dee seine Aufmerksamkeit darauf richtete, Petras »Eingebung«, wie er es nannte, zu

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