Das magische Schwert
entwickeln, fand Petra, dass ihr Fechten zusehends Fortschritte machte. Ihre Paraden wurden schneller, ihre Stöße waren fehlerlos, und sie hatte die Ungezwungenheit wiedererlangt, mit der sie einen Dolch in einem viele Schritte entfernten Ziel versenken konnte.
Aber ihre Begegnungen mit Kit waren auch schlimm, weil sie kaum miteinander sprachen. Während ihrer ersten Übung nach dem Winterball hatte Kit Petra erwartungsvoll angesehen. Er hatte zum Sprechen angesetzt, doch Petras Wangen waren heiß geworden und sie hatte ihn abgeblockt. »Lass uns anfangen«, sagte sie.
Kühl hob er sein Schwert und sie kämpften schweigend. Und, das war’s wohl.
An einem späten Nachmittag ging Petra in den obersten Flur im Haus der Dees zu einer langen Galerie mit Gemälden und kleinen Skulpturen. Astrophil hatte die Kunstobjekte anschauen wollen und etwas von »chiaroscuro« und »contrapposto« gesagt.
»Ist doch egal«, hatte Petra ihn unterbrochen. »Gehen wir einfach.«
Das sind sehr wichtige Begriffe in der italienischen Kunst , schulmeisterte Astrophil, während sie die Treppe hochstiegen.
Mir sind chiaropposto und contrascuro halt egal.
Du sprichst das völlig falsch aus! Er stöhnte.
Sie waren noch dabei, sich zu streiten, als Petra die Tür zur Galerie aufmachte und merkte, dass sich schon jemand in dem Raum befand.
Es war Agatha Dee, die aus einem der großen Fenster den Sonnenuntergang betrachtete. Sie stand so still wie eine der Marmorstatuen.
Obwohl Petra seit Wochen auf eine Gelegenheit wie diese gehofft hatte, spürte sie, wie Nervosität in ihr aufflackerte. Das ausdruckslose Gesicht dieser Frau war nicht nur seltsam, es war unheimlich.
Petra räusperte sich. »Hallo, Mistress Dee.«
»Nenn mich Agatha.« Sie beobachtete Petra, während sie
auf sie zuging. »Du hast schon lange versucht, mich zu sprechen. Es tut mir leid, dass ich mich nicht um dich gekümmert habe. Ich bin keine gute Gastgeberin.Was wolltest du mit mir besprechen?«
Einen Augenblick lang konnte Petra sich an nichts erinnern, denn alles, was sie fragen wollte, war: Was stimmt nicht mit Euch? Was ist Euch passiert, dass Ihr so seid?
Astrophil sagte ihr vor: Der Tod des Westens.
Petra holte tief Luft. »Was wisst Ihr über Gabriel Thorn?«
»Aha«, sagte Agatha. »Ich hatte schon den Verdacht, dass dies deine Frage wäre. Ich habe von deiner Wette mit meinem Mann gehört. Deshalb habe ich mich geweigert, mich mit dir zu treffen.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Nein, das kannst du auch nicht.«
Petra musterte sie genauer. Die Stimme der Frau war ausdruckslos gewesen, doch Petra meinte, dass die Worte liebevoll gemeint gewesen wären, als wäre es gut, wenn Petra nicht verstand. Sie fragte: »Wer hat gewollt, dass Thorn tot ist?«
»Ich.«
Petra starrte sie an.
»Ich habe ihn nicht vergiftet«, sagte Agatha. »Aber ich habe mir gewünscht, dass er sterben würde.« Sie drehte sich um, um das Ölgemälde von einem Wald zu betrachten, so dunkelgrün, dass er fast schwarz war. »Vermisst du deine Eltern, Petra?«
»Ich … ja. Meinen Vater«, stammelte sie.
»Und deine Mutter?«
»Sie ist bei meiner Geburt gestorben. Man kann niemanden vermissen, den man nie gekannt hat.«
Agatha warf ihr einen Blick zu. Er war leer, und doch gab
er Petra das Gefühl, als wäre ihr die Haut abgezogen worden und hätte etwas Weiches und Rohes freigelegt. »Das klingt wie etwas, das du sehr oft sagst, aber ich denke, wir beide wissen, dass es nicht stimmt. Es ist sehr leicht, etwas zu vermissen, das man nie gekannt hat.«
Petra erinnerte sich, wie Agathas Hand ihr über die Haare gestreichelt hatte, sie dachte an Dita, die weit weg in Böhmen war, und schwieg.
»Meine Eltern sind an der Pest gestorben, als ich noch klein war«, sagte Agatha. »Wenn ich ein armes Kind gewesen wäre, hätte man mich in ein Waisenhaus gesteckt. Doch meine Familie war reich, auch wenn ich das Geld nicht anrühren konnte, bis ich volljährig wurde, und so wurde ich einem Haus unter Amtsvormundschaft übergeben.Vielleicht ist der Unterschied zu einem Waisenhaus gar nicht so groß, außer dass die Kinder reich sind und ebenso die Leute, die sie adoptieren. Ich wurde von Gabriel und Letticia Thorn adoptiert. Die Thorns waren kinderlos. Sie haben nur erst später entdeckt, dass sie eigentlich nie Kinder haben wollten. Meine frühesten Erinnerungen sind öde und einsam. Aber das ist nicht so schlimm. Gabriel Thorn war ein Wahrsager.Was wäre da nicht mehr gelegen
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