Das Mal der Schlange
verlieren.
„ Aber nicht mit uns!“, zischte sie.
„ Was?“, Tristan sah sie irritiert an.
„ Ich habe gerade laut gedacht. Der Angreifer sitzt im Dunkeln und Nathaniel liegt gut sichtbar im Licht der Straßenlampen! Wir müssen ihn holen! Mit der Wunde im Bein wird er die nächsten Minuten sicherlich nicht alleine laufen können. Wir können von Glück sagen, noch nicht entdeckt worden zu sein, aber sobald ein Auto oder Fußgänger auftauchen, kommen wir in Erklärungsnot! Außerdem möchte ich nicht riskieren, dass unser Feind schwerere Geschütze auffährt. Er mag zwar nicht gut schießen können, aber vielleicht kann er ja besser Handgranaten werfen.“
„ Male nur nicht den Teufel an die Wand! Los, wir gehen alle drei. Wenn wir uns beeilen, kann nicht viel passieren.“
Sie liefen los und zogen Nathaniel hoch. Beim Überqueren der Straße knickte Tristan kurz ein, als eine weitere Kugel ihr Ziel traf und in seine Schulter einschlug.
Schließlich erreichten die vom Platz abgehende Straße.
„ Wie geht es dir?“, flüsterte Emmaline und küsste Nathaniel auf die Stirn.
„ Es wird in ein paar Augenblicken verheilt sein“, presste er hervor, „aber bis dahin tut es höllisch weh!“
„ Wir müssen uns beeilen“, Emmaline wies stattdessen auf Lilian, die sichtlich erschöpft an einer Hauswand lehnte, „Lily muss jagen. Werdet ihr es bis zum Club schaffen?“
Nathaniel und Tristan sahen an sich hinunter und waren froh, dunkle Kleidung zu tragen. In der spärlichen Beleuchtung des Londoner Nachtlebens würden weder durchlöcherte Hosenbeine noch Blutflecken auffallen.
Nach wenigen Minuten standen sie in dem Lokal.
Der Club erstreckte sich über mehrere Ebenen in die Tiefe, mit einer Bar, zu der eine steile Treppe hinab führte und einer Tanzfläche noch ein Stockwerk darunter.
Nachdem sie sich überall kurz umgesehen hatten, entschieden sie sich für den Barbereich. Nur dort war das Licht halbwegs so, dass Lilian ihr Opfer eindeutig als solches würde erkennen können.
Nathaniel schüttelte missbilligend den Kopf, „Mag sein, dass die Zeiten moderner werden, aber sicher nicht geschmackvoller.“ Er wies auf die Einrichtung der Bar, die, ganz im Südsee-Stil, in erster Linie aus Plamen, Bambustischen und Bastsonnenschirmen bestand. „Wenigstens sind die vielen Nischen und Ecken gut für unser Vorhaben“, seufzte er, bevor er sich Lily zuwendete.
„ Sieh dich um“, sagte er leise zu ihr, „Sieh dir die Menschen hier ganz genau an, jeden einzelnen. Gibt es jemanden, der keine Farbe hat?“
„ Wie meinst du das? Keine Farbe? Das verstehe ich nicht.“
„ Ich weiß, es ist nicht so einfach, bei diesen schlechten Lichtverhältnissen. Aber vielleicht kannst du jemanden entdecken, der nur aus Schattierungen von Schwarz und Weiß besteht, wie in einem alten Film.“
Sie kniff die Augen zusammen und ließ ihren Blick eine Weile in dem überfüllten Raum umherschweifen. Dann ging sie fasziniert auf eine kleine Sitzgruppe zu, die zwischen zwei riesigen Palmen lag.
Emmaline hielt sie schließlich am Arm zurück. „Ist es der dort drüben?“
„ Ja. Wie seltsam“, Lilian blinzelte, „So etwas habe ich noch nie gesehen. Er wirkt wie ein Schatten. Und ich empfinde ihn als unglaublich widerlich, dabei kenne ich ihn gar nicht. Aber er verursacht bei mir Ekel.“
„ Gut. Dann ist er der richtige.“
Tristan sah nervös zum Eingang zurück. „Wir sollten uns etwas beeilen. Ich weiß nicht, wie lange unser Verfolger braucht, um uns hier zu finden.“
„ Das ist richtig“, auch Nathaniel wollte die Gruppe so schnell wie möglich in Sicherheit bringen. „Lily, hör mir zu. Du musst diesen Mann dort drüben töten. Jetzt sofort!“
Sie sah ihn aus weit aufgerissenen Augen entsetzt an. „Was? Wieso das denn?“
„ Wir werden dir alles in Kürze erklären, aber für den Augenblick musst du uns vertrauen.“
Unbewegt starrte sie ihn weiter an.
Emmaline drückte besorgt Nathaniels Hand.
„ Also gut“, er nagte kurz an seiner Unterlippe, „Lilian, schließ deine Augen. Und jetzt stellst du dir den Mann dort drüben vor, konzentriere dich. Was fühlst du?“
Lilys Atem ging schneller und ihre Augenlieder flackerten, „Abscheu. Er hat seine Freundin getötet, aus Eifersucht, und er bereut es nicht. Er verachtet Frauen und würde es wieder tun.“
„ Und jetzt konzentriere dich auf dich selbst. Wie fühlst du dich?“
„ Ich bin müde. Unendlich müde. Ich habe das Gefühl, meine
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