Das Mal der Schlange
Tristan das Messer aus der Hand und schnitt sich ebenfalls die Pulsader auf.
Tristan nickte. Wenn er zu viel von seinem Blut vergoss, würde er zu schwach werden, um Sisto in Sicherheit bringen zu können, aber zusammen mit Michele würde es problemlos funktionieren.
„ Das reicht!“, sagte Sisto nach einer Weile. Eine riesige dunkelrote Blutlache hatte sich auf dem Boden ausgebreitet. „Lasst uns gehen. Sobald wir in Sicherheit sind, muss ich wieder anfangen zu jagen. Mein Ruhestand scheint vorbei zu sein.“
Eine scheinbare Ewigkeit liefen sie durch das Gangsystem, Sisto voraus, die anderen dicht hinterher. Der alte Mann kannte die unterirdische Welt wie seine Westentasche. Endlich traten sie aus einem großen Kanalrohr, das in den Tiber mündete.
„ Ich muss zurück“, flüsterte Tristan, „Die Sonne geht gleich auf. Wenn ich mich nicht bald bei ihr melde, wird sie mich suchen.“
Sisto umarmte zuerst Tristan und dann Michele. „Ich stehe tief in eurer Schuld. Passt auf euch auf, bis wir uns wiedersehen. Und vergesst nicht – Ilaria darf nie erfahren, dass ihr euch kennt – sonst seid ihr beide in Lebensgefahr!“
„ Was wirst du jetzt tun?“, fragte Michele.
„ Macht euch um mich keine Sorgen. Ich werde schnell wieder bei Kräften sein, sobald ich gejagt habe. Und dann gehe ich zu Freunden, die uns unterstützen werden. Unsere Ordnung muss wiederhergestellt werden.“
Als sie sich bereits zum Gehen wandten, drehte Sisto sich noch einmal um. „Sag Ilaria, du hättest meinen Körper mitgenommen und ihn stückweise in Ostia an die Fische verfüttert. Das wird ihr gefallen.“
69.
2003
London
England
Das Läuten des Telefons schreckte sie auf.
„ Drei Uhr morgens – wer sollte um diese Zeit hier anrufen?“, Adams Stimme klang beunruhigt.
Nathaniel sah auf das Display. „Es ist Victor.“
Das Gespräch dauerte nicht einmal eine Minute.
„ Er möchte, dass ich nach draußen komme“, sagte er, nachdem er aufgelegt hatte, „Keine Waffen, kein Hinterhalt. Er will mit mir reden.“
Adam stürzte zum Fenster und spähte durch einen Spalt im Vorhang. „Sie sind beide hier! Victor und Ilaria! Seht nur, sie stehen unter der Straßenlaterne, auf der Seite gegenüber.“
Nun riskierte auch Emmaline einen Blick. „Sehr lange können sie dort noch nicht stehen. So nahe am Haus – das hätten wir gespürt.“
„ Ich gehe hinaus“, Nathaniel stand auf.
„ Auf keinen Fall!“
„ Sie befinden sich beide auf offener Straße, Emmaline, im Licht einer Lampe. Es gibt nichts, wo sie sich verstecken könnten. Und haltet mich für verrückt – ich glaube, dass Victor zu seinem Wort stehen wird und nur reden möchte.“
Er sah auf die anderen, „Ihr beobachtet alles von hier aus und falls etwas schief läuft, rechne ich mit eurer Unterstützung, in Ordnung?“
„ Dann komme ich mit.“
„ Nein!“
„ Ich habe dich nicht um Erlaubnis gefragt. Ilaria ist auch da draußen. Zwei gegen zwei.“
Nathaniel sah Emmaline mit zweifelndem Blick an.
„ Keine Sorge, ich werde mich unter Kontrolle haben.“
Das Licht über der Haustüre wurde gelöscht und geräuschlos schlüpften Emmaline und Nathaniel nach draußen und überquerten die Straße.
Schon bevor sie die beiden erreicht hatten, waren sie bis auf die Haut durchnässt.
Sie stellten sich an den Rand des Lichtkegels, so dass Victor und Ilaria direkt unter die Lampe treten mussten, damit sie sich unterhalten konnten.
Emmaline bemerkte fasziniert, dass Nathaniel die beiden mit völlig ausdruckslosem Gesicht musterte. Lediglich seine Mundwinkel waren leicht nach oben geschwungen, zu dem kleinen ironischen Lächeln, das ihn so besonders machte.
Sie selbst musste sich bemühen, um ruhig zu bleiben.
„ Die Entwicklung der Dinge bedauere ich sehr“, begann Victor, „aber ihr solltet verstehen, dass wir keine andere Wahl hatten.“
Als Emmaline und Nathaniel stumm blieben, fuhr er fort, „Tristan ist ein Aggressor. Er muss beseitigt werden. Ich wünsche, dass auf der Stelle dein Haus verlässt und sich in unsere Gewalt begibt!“
Nun blickte Nathaniel interessiert von Victor zu Ilaria und wieder zurück zu Victor. Dann wurde sein Lächeln breiter, „Du weißt es nicht, nicht wahr? Interessant. Aber wie du wünschst, Victor. Ich werde Tristan sofort für dich anrufen.“ Er zog sein Mobiltelefon aus der Tasche und wählte eine Nummer.
„ Es wäre sehr nett, wenn du zu uns kommen würdest“, sagte er und legte wieder
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