Das Mal der Schlange
darüber nachgedacht und es dann für das Beste gehalten. Sie war jetzt achtzig Jahre alt und es machte keinen Sinn, sie wegen ein paar Tagen den Strapazen eines Transatlantikfluges auszusetzen.
Der gewaltige Anblick des Kolosseums verursachte bei Emmaline und Daniele wehmütige Gänsehaut. Beide bedauerten es sehr, nicht mehr in Rom leben zu können. Dann standen sie vor dem Haus der Großeltern.
Erst sah es aus wie immer, als ob Eleonora und Carlo zu Hause wären. Aber auf den zweiten Blick bemerkte Emmaline das Unkraut in Carlos Gemüsebeeten, die Blätter, die auf dem Weg lagen und den Staub auf dem Schaukelstuhl.
Traurig gingen sie in die Küche. Alles stand an seinem Platz. Eleonoras Schürze hing über der Lehne des hölzernen Küchenstuhls. Carlos Lesebrille lag auf dem Tisch. Daniele beugte sich darüber, um sie aufzuheben und eine Träne fiel auf seine Hand.
„ Es tut mir so leid!“, Emmaline schloss ihre Arme um ihn und hielt ihn fest.
Nach einer Weile löste sich Daniele von ihr und sagte mit leiser Stimme, „Ich werde es auf keinen Fall verkaufen. Und ich möchte auch nicht, dass andere Leute hier wohnen.“
Zornig sah er sie an, „Ich will hier leben! Mit dir!“
„ Du weißt, dass das nicht geht. Es ist viel zu gefährlich.“
„ Das ist mir egal“, entschlossen ging er die Treppe nach oben, „Wir regeln jetzt die Dinge hier und dann fliegen wir zurück und holen Louise. Rom ist meine Heimat. Wir sind alle Europäer, auch Louise wird es in der alten Welt besser gefallen, als in der neuen, so schön Kanada auch sein mag.“
Emmaline folgte ihm in Carlos und Eleonoras Schlafzimmer. Das große Messingbett mit dem verzierten Kopfteil nahm beinahe die ganze Wand ein. Auf Eleonoras Nachttisch lag noch das Buch, in dem sie zuletzt gelesen hatte.
Sie wusste, dass sie ihn nicht von seinem Vorhaben würde abbringen können. Er hatte sich entschieden. Die Liebe zu seiner Heimat war offenbar größer, als sein Selbsterhaltungstrieb. Vielleicht würde es eine Lösung geben.
„ Ich möchte, dass wir das Bett behalten“, sagte sie hinter ihm. „Und Louise kann in deinem Zimmer schlafen.“
„ Ich bin es leid, davonzulaufen.“
„ Ich weiß.“
„ Lass uns zu Massimo gehen“, er küsste ihren Handrücken, „Er ist doch der Boss hier in Rom, nicht wahr? Wir sagen ihm die Wahrheit und bitten ihn um Frieden. Meinetwegen stellen sie jemanden ab, der uns Tag und Nacht bewacht, das ist mir völlig egal. Ich werde ihm versprechen zu schweigen, schriftlich, wenn er es wünscht.“
„ Ich weiß nicht, ob das gut ist. Damit begeben wir uns in seine Hände. Ich vertraue ihm nicht.“
„ Was ist mit Ilaria?“
„ Gute Idee. Ich werde sie hierher bitten und wir reden zuerst mit ihr.“
In dieser Nacht blieben sie im Haus der Großeltern. Sie hatten die Betten frisch bezogen, den Boden gefegt und nach einem einfachen Abendessen eine Flasche Wein aus Carlos gut bestücktem Weinkeller geholt.
Am nächsten Morgen fuhren sie zuerst in die Via della Lungaretta, um auch hier nach dem Rechten zu sehen und anschließend hinaus auf den Friedhof.
Danieles Familie besaß eine Gruft, in der nun auch Carlo und Eleonora hinter kühlem Marmor schliefen. Eine leere Kupfervase war an einem Halter befestigt. Daniele stellte die mitgebrachten Blumen hinein und stumm verharrten sie einen Augenblick.
„ Es ist schwer, sich vorzustellen, dass sie für immer weg sind“, sagte er tonlos, „Und nie wieder bei uns sein werden. Aber ich bin mir sicher, dass wir uns eines Tages irgendwo wiedersehen werden. Ich glaube fest daran, dass der Tod nicht das Ende ist. Was das im Bezug auf dich bedeutet, weiß ich allerdings nicht.“
„ Auch ich werde irgendwann sterben. Auf die ein oder andere Weise. Ich habe nicht vor, ewig zu leben. Was für eine schreckliche Vorstellung das wäre! Wenn es ein Leben nach dem Tod gibt, werden auch wir uns wiedersehen, Daniele, nicht wahr?“
Er strich zärtlich mit der Hand über ihre Wange, „Das ist gut.“
Kurz nachdem sie wieder zuhause waren, klopfte es an der Tür.
„ Ich danke dir, dass du gekommen bist, Ilaria“, hörte Emmaline Daniele sagen.
Sie stand am Spültisch und trocknete das Geschirr ab, als Ilaria den Raum betrat. Sofort bemerkte sie den besorgten Gesichtsausdruck ihrer Freundin.
„ Was hast du nur angestellt, Schwester?“, sie nahm sich ein zweites Geschirrtuch und griff nach einem Teller.
„ Ich bin meinem Herzen gefolgt, ist das ein Verbrechen?“
„
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