Das Mallorca Kartell (German Edition)
Kommentar die Zeche beglichen und sogar noch ein großzügiges Trinkgeld auf dem Tisch liegen lassen. Dafür wollte sie sich heute mit einer Einladung ins Kino revanchieren. Sie war gerade im Begriff aufzulegen, als Martin doch noch abnahm.
»Hallo, mein Schatz!« Seine Stimme hörte sich fürchterlich an.
»Was ist denn los? Geht es dir nicht gut?«
Ein heftiges Niesen war die Antwort. »Ich habe mir eine dicke Erkältung eingefangen. Ich bin sogar früher von der Arbeit nach Hause, nachdem Cristina die Besprechung abgesagt hatte. Sie schien völlig durch den Wind zu sein. Jesús meinte, die Testamentseröffnung hätte sie ziemlich mitgenommen.«
»Stimmt. Sie hat mir für heute Abend ebenfalls abgesagt. Eigentlich wollte ich dich ins Kino einladen. Gestern haben wir es auch nicht mehr in den Film geschafft, den ich unbedingt sehen möchte. Besser, ich lasse den Film sausen, packe mein Erste-Hilfe-Set ein und spiele Krankenpflegerin.« Sie war sicher, dass Martin nichts gegen eine Erkältung im Haus hatte.
»Nein, sieh dir den Film an. Er läuft doch nur noch heute. Außerdem war ich in der Apotheke und komme schon zurecht. Ich lasse gerade ein Erkältungsbad ein und gehe sowieso anschließend schlafen.« Im Hintergrund hörte sie, wie das Wasser rauschend in die Wanne einlief.
Offenbar war Martin tatsächlich versorgt. Sie überlegte kurz, ob sie trotzdem besser zu ihm gehen sollte, und entschied sich dagegen. »Also gut, mein Schatz, dann sehe ich mir den Film allein an. Treffen wir uns morgen?«
»Du könntest um acht Uhr in einer Schwesterntracht bei mir auftauchen und mir den Puls messen!«, scherzte Martin.
»Gute Besserung und bis morgen!« Sie hörte, wie Martin ein Kussgeräusch machte und das Gespräch beendete.
Der mexikanische Film begann in einer halben Stunde. Sie schnappte sich die Autoschlüssel und verließ pfeifend ihre Wohnung. Keine fünfzehn Minuten später parkte sie neben dem Rolltor des Baumarktes, der an das Kinogelände grenzte. Der Parkplatz lag verlassen da. Sie hätte ihren Wagen auch in das Parkhaus des Ocimax-Centers stellen können und wäre von dort aus mit der Rolltreppe direkt vor der Kinokasse gelandet. Doch in Parkhäusern beschlich sie immer ein mulmiges Gefühl, da ging sie lieber einige Schritte weiter.
Sie sah auf die Anzeigentafeln der aktuellen Filme und entdeckte das Plakat von Ciudad de Silencio, der als Wiederholung für einige Tage im Kino drei gespielt wurde. Sie schaffte es gerade noch rechtzeitig, ihre Karte zu lösen, Popcorn zu kaufen und sich auf den Plüschsessel fallen zu lassen, als der Film begann. Mit Heißhunger machte sich Ana über ihr gesalzenes Popcorn her. Je weiter der Film fortschritt, desto mehr verging ihr der Appetit. Sie hatte in einer Kritik gelesen, der Film stelle das traurige Schicksal von ermordeten Frauen der Grenzstadt Ciudad Juarez dar. Aber das grausige Geschehen auf der Leinwand zog sie tief in seinen Bann. Es verschlug ihr regelrecht den Atem. Wie konnten Menschen nur so grausam sein?, fragte sie sich. Die Polizei hielt die Hand auf und ließ damit zu, dass Hunderte junger mexikanischer Frauen auf bestialische Art vergewaltigt, gefoltert und umgebracht wurden. Selbst die Regierung sah einfach weg, um nicht die Wirtschaftsbeziehungen zu den USA zu stören. So etwas schien Ana unbegreiflich. Wenn sie sich solch kritische Filme aus fernen Ländern ansah, dankte sie jedes Mal Gott dafür, in einem sichereren Teil der Erde leben zu dürfen.
Die zwei Stunden vergingen wie im Flug, und als die Lichter angingen, kauerte sie trotz des Happy Ends wie versteinert in ihrem Polstersessel, denn ihr war klar, dass es in dieser Stadt noch lange kein gutes Ende geben würde. Das Regime war zu korrupt. Sie war als Einzige bis zum Ende des Abspanns sitzen geblieben. Alle anderen Zuschauer waren mit mehr oder weniger bedrückten Gesichtern zu den Ausgängen geströmt. Ana erhob sich langsam und warf beim Hinausgehen ihr fast unberührtes Popcorn in den Mülleimer. Die schwere Eisentür schloss sich hinter ihr. Aufmerksam sah sie sich um. An welcher Ecke des Gebäudes stand sie? Sie sah die Reklame eines Ersatzteilhandels für Autos und erkannte, dass sie auf der Rückseite des Gebäudes war. Nachdenklich spazierte sie zwischen dem Vergnügungscenter und den hoch aufragenden Mauern eines benachbarten Firmengeländes entlang, bis sie wieder auf die davorliegende Straße stieß. Sie lag verlassen da. Ein Kribbeln lief über ihren Rücken und sie
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