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Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition)

Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Kusnezow
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Wachen am Tunneleingang warnten sie, dass um diese Zeit die Sirenen aktiv seien, und schlugen vor, einige Stunden zu warten. Sergej und Max tauschten einen kurzen Blick und beschlossen, sich davon nicht aufhalten zu lassen.
    Der Kommandeur der Wache, ein hagerer, grauhaariger Mann mit ausgezehrtem Gesicht, reichte ihnen selbstgemachte Ohrstöpsel. Dankbar nahm Sergej die sechs tamponartigen Wattepfropfen entgegen. Mit den Augen folgte der Kommandeur den drei wagemutigen Wanderern noch ein Stück, ehe er seinen Leuten den Befehl gab, sich auf den Angriff der Sirenen vorzubereiten. Die Soldaten holten ihren Gehörschutz heraus und verschlossen damit ihre Ohren.
    Schon nach wenigen Metern im Tunnel forderte Sergej Denis auf, sich die Ohrstöpsel in die Ohren zu drücken. Seine eigenen Wattepfropfen behielt er fürs Erste in der Hand.
    »Hast du keine Angst?«, fragte Max.
    Sergej hielt es für überflüssig, darauf zu antworten. Das Eis schloss sein Innerstes fest ein. Keine Angst der Welt vermochte diesen Panzer zum Schmelzen zu bringen.
    Sie gingen zügig. Max brummte vor sich hin, dass es doch mit dem Teufel zuginge; dass sie alle Abartigkeiten, die es zwischen den Stationen gab, auf sich zögen; dass sie den »Drachenhauch« zwar irgendwie überstanden hätten, dem Tod mit knapper Not entronnen wären, jetzt aber sicher gleich die Weiber zu singen anfangen würden und es keine Garantie gebe, dass sie auch das überstehen würden.
    Sergej leuchtete mit dem Strahl seiner Taschenlampe über die Wände und die Decke und las die Aufschriften, die
offenbar von verschiedenen Personen mit irgendeiner hellen Farbe aufgetragen worden waren:
    HIER SIND ACHT MENSCHEN VERSCHWUNDEN ZUM … MIT EUCH … SCHEUSALE FILIPP + MASCHA = EWIGE LIEBE
    Und plötzlich, einige Meter weiter:
    ZURÜCK WEITER TOD
    Sergej verlangsamte seinen Schritt. Max beleuchtete die Aufschrift.
    »Ich wüsste gern, womit das geschrieben wurde? Dieser Satz ist eine Augenweide. Klingt fast so wie das berühmte ›Hinzurichten verboten zu begnadigen‹. Wo kommt das Komma hin?«
    In diesem Augenblick ging es los.
    Es ging los … Anfangs war es nur ein Flüstern, dann wurde es lauter, mächtiger, füllte den Tunnel aus, die ganze Welt, verzauberte sie und machte sie wunderschön …
    Der Gesang! Dieser wunderbare Gesang.
    Er war zutiefst erschütternd. In seinem ganzen Leben hatte Sergej nichts Schöneres gehört. Süße, reine Stimmen umströmten ihn, sprudelten betörend aus einer unsichtbaren Spalte und wogten augenblicklich über die drei Menschen hinweg. Eine Million göttlicher Stimmen erzählten von einem paradiesischen Land, das in nächster Nähe lag, nach dem man nur die Hand ausstrecken musste, schon könne man es berühren und betreten; sie flehten, lockten
und versicherten, dass der Mensch dort, und nur dort, sein wahres Glück finden könne; diese Stimmen waren süß wie Honig, kühl und erfrischend wie ein Berglüftchen, wie eine Limonade an einem schwülen Sommertag, sie hüllten ein und lockten, denn wer sie hörte, nahm sie nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit dem Herzen und dem ganzen Bewusstsein auf.
    Sergej hatte weder die Kraft, noch spürte er irgendeine Notwendigkeit, sich zu widersetzen.
    Sein Körper erlangte zusehends seine Gesundheit wieder, war stark, gehorsam; sein Kopf war frei von Schmerzen und Sorgen …
    Er setzte sich in Bewegung, folgte dem Ruf.
    Wie lange, wohin und wie er ging – er hätte es nicht sagen können. Vielleicht eine Stunde, vielleicht nur wenige Minuten. Ein fürchterliches Krachen ertönte …
    Und der Gesang verstummte.
    Als Sergej wieder zur Besinnung kam, saß er völlig entkräftet auf den Gleisen. Sein Kopf dröhnte, sein schwerer, schmerzender Körper wollte ihm nicht gehorchen. Über ihm stand Max. Sergej leuchtete mit seiner Lampe: Der Gewehrlauf war nach oben gerichtet.
    »Was hast du getan?«, fragte Sergej mit einer Stimme, die ihm selbst fremd war.
    »Ich hab ihr verdammtes Ballett auseinandergetrieben«, antwortete Max. »Ihnen eine Salve nach oben geschickt – jetzt halten sie endlich die Klappe. Hab eine kleine Dissonanz in ihre Arie gebracht. Denn dich hatte es ordentlich erwischt. Du warst schon auf dem besten Weg … Nicht weit von hier ist eine Einsturzstelle, die man nicht sofort erkennt.
« Max leuchtete mit der Taschenlampe die Wand ab. »Blind und taub, wie es dich dorthin gezogen hat, wärest du um ein Haar draufgegangen.«
    »Warte mal …« Sergej schüttelte den Kopf und

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