Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition)
richtigen Berg erstaunlich sanft. Aber Sergej war schon bald erschöpft, begann zu keuchen, und seine Schulter tat wieder weh. Er blieb immer weiter zurück.
Max überprüfte die Hintergrundstrahlung, öffnete dann den Verschluss des Helms und schob die Atemschutzmaske aus dem Gesicht.
»Hast du keine Angst?«, fragte Sergej.
Max schüttelte den Kopf und sagte: »Das ist ein typisches Phänomen. Je höher über dem Erdboden, desto niedriger die Strahlung.«
»Niederschläge sind gefährlich.«
»Ich habe nicht vor, hundert Jahre alt zu werden. Und es gibt niemanden, mit dem ich noch ein Kind zeugen könnte.«
»Du hast ein Kind?«
Max nickte. »Spar dir deine Kräfte! Bald sind wir oben, dann müssen wir einen Einstieg finden, einen Schacht zum Beispiel, um in eine der Höhlen zu gelangen. Bleib wachsam, hier könnten sie herumstreunen.«
Sergej nickte. Vor seinen Augen tanzten dunkelblaue Flecken. Ihm war inzwischen selbst klar, wie ungeeignet er für diese hoffnungslose Unternehmung war. Er hätte sich nicht an Max hängen dürfen.
Sie gingen weiter. Immer noch fiel dichter Schnee, der die Sicht einschränkte und das Visier von Sergejs Helm bedeckte, so dass er es immer wieder mit der Hand frei
wischen musste. Max schritt munter aus und konnte dabei noch mühelos reden.
»Hast du schon mal von den wilden Karawanen gehört?«
Sergej schüttelte den Kopf und kam von dem glatten Weg ab. Warum lenkt er mich ab?, dachte er.
»Das ist der letzte Abschaum, skrupellose Kerle«, sagte Max. »Wilde Karawanen schrecken auch vor den finstersten Geschäften nicht zurück. Sie dealen mit harten Drogen … Weißt du, was für kosmische Pflänzchen unweit von Moskau wachsen? In der Hanse knüpfen sie dich dagegen schon auf, wenn sie dich nur mit einem einzigen Zapfen Ref. 25 erwischen. Drogen also, und außerdem handeln sie mit lebendiger Ware …«
»Womit?«, fragte Sergej dumpf unter seinem Helm hervor. Noch immer konnte er sich nicht entschließen, ihn abzusetzen. Er hörte zerstreut zu, konzentrierte sich mehr auf die nächste Schmerzwelle in seiner linken Schulter.
»Lebendige Ware …«, wiederholte Max, während er geschickt einem großen Stein auf dem Weg vor ihm auswich. »Menschen. Wer weiß schon, zu welchem Zweck … Die Welt ist bizarr … Menschenfresser kaufen sie, Sklavenbesitzer ebenfalls. Zuhälter … Menschenfresser-Zuhälter … Mit so einer Karawane bin ich in die Stadt gekommen; allerdings hatte die keine Menschen im Gepäck, nur Drogen, zwei ganze Koffer voll.«
»Warum erzählst du mir das alles?«, fragte Sergej.
»Wenn sie deinen Sohn nicht auffuttern, werden sie ihn vielleicht an so eine Karawane verhökern. In dem Fall müssen sie Kundschafter zu den Reisetrassen schicken, um dort eine entsprechende Karawane abzupassen …«
»Wenn er noch lebt«, sagte Sergej.
Ein heftiges Zittern erfasste ihn. In seinem Kopf, im hintersten Winkel seines Bewusstseins, erhob sich die schwache, erschrockene Stimme seines Sohnes. Sergejs Kräfte ließen nach. Nicht mehr lange, und er würde sich mitten auf dem Weg in den Schnee fallen lassen und nicht mehr aufstehen. Sergej trieb sich an, raffte seine letzten Kräfte zusammen. Komm schon! Los! Du kannst es. Du musst!
»Wir werden nicht warten, bis sie sich entschieden haben, ob sie den Jungen verkaufen.« Energisch schüttelte Sergej den Kopf. »Wir werden einen Zugang finden, uns durch einen Schacht ins Berginnere hinunterlassen und so lange von Höhle zu Höhle wandern, bis wir ihn haben.«
»Und sie uns über den Haufen rennen«, sagte Max und nickte eifrig. »Dann ist Denis endgültig verloren …«
»Was schlägst du denn vor?«
Max überlegte. Er blickte sich nach allen Seiten um, dann setzte er den Rucksack ab, begann darin zu wühlen und murmelte:
»Ah, da ist es … Gib mir mal die Pistole, Serjoscha.«
Wind kam auf.
»Auch das kommt uns zugute!«, sagte Max zufrieden.
Vier Pygmäen waren beauftragt worden, eine Karawane ausfindig zu machen, und hatten die Höhle verlassen. Es waren also mehr als genug Wilde übrig geblieben. Die stämmigen Zwerge liefen geschäftig in der Höhle hin und her und kümmerten sich überhaupt nicht um Denis. Die Körper ihrer getöteten Stammesbrüder hatten sie am Ausgang
der Höhle abgeladen. Noch stand nicht fest, ob man sie verzehren oder im Wald begraben würde.
Das Kind lag in der Ecke neben einer Wand und blickte nach draußen. Dort heulte der Wind und verdrehte den Schnee zu festen
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