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Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Titel: Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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Teppichvorhang von dem überfüllten Saal getrennt war. Die ganze Nacht über machten Gwana-Musiker vor einigen Hundert begeisterten Männern Musik. Berühmte Leute, die angeblich mit Randy Westen, Johnny Copeland und Peter Gabriel aufgetreten waren.
    Das ist der Afrikanische Blues, hatte Brahim ihm zugeflüstert. Monoton klapperten dicke Kastagnetten aus Eisen und begleiteten eine dreisaitige Laute. Jacques war zu erschöpft. Für ihn war diese Musik nur Lärm. Aber trotz des Lärms döste er ein.
    Was für eine schwachsinnige Entscheidung, nach Marrakesch zu reisen. Was für eine unsinnige Idee, Ibrahim Rossi zu verdächtigen. Wahrscheinlich löst sich der Fall in der Zwischenzeit von allein, in Paris. Er würde jetzt am liebsten Jean Mahon anrufen und nach der »spannenden Entwicklung« fragen, die der Kommissar auf der Mailbox angedeutet hatte. Und auch Margaux sprach von »aufregenden« Recherchen. Es drängte ihn, so schnell wie möglich zurückzufliegen. Aber erst einmal musste er sich von seinem stinkenden Kaftan befreien und aus diesem Lehmdorf verschwinden. Mit einem heißen Tee wurde er von Brahim geweckt. Wir fahren in den Morgenstunden mit einer Fuhre Musiker zurück nach Marrakesch. Ich habe alles arrangiert. Aber stell dir vor, Marabout Sidi Chamarouch ist aus Djebel Toubkal rübergekommen. Wir müssen ihn dringend befragen. Das kostet ein wenig, aber Sidi ist der größte aller Marabouts.
    Marabouts kannte Jacques aus dem Goutte d’Or in Paris, wo sie ihr Unwesen trieben. Sie behaupteten, mit manch einem Zauberspruch oder Zaubertrank das Leben ihrer Kunden beeinflussen zu können. Sie heilten den, der an ihre Kraft glaubte, sie linderten Liebeskummer, sie stärkten die Manneskraft. In der Hoffnung, ihre Sehnsüchte würden erfüllt, zahlten selbst manche Franzosen erhebliche Summen an Marabouts. Alles bar, natürlich. Meist waren Marabouts reich, ihnen gehörten Immobilien in Paris, und in ihrer Heimat hatten sie viele Frauen und Kinder zu ernähren.
    Jacques zuckte mit den Schultern. »Muss ich da mitkommen?«
    »Ja. Stell dir vor, Marabout Sidi Chamarouch!«
    Sie verließen den kleinen Raum, schlichen sich zu einer Hintertür hinaus, erreichten über zwei Gärten ein Haus, in dem auf einem Teppich der Marabout saß, der Brahim einige Hundert Dirham abnahm, ihn anhörte und dann unter unverständlichem Murmeln mit schwarzer Tusche Zeichen auf ein Holzbrett malte. Er wusch das Geschriebene ab, füllte die grauschwarze Flüssigkeit in ein Fläschchen, das er Brahim reichte. Der nahm einen Schluck, stieß den Korken in den Flaschenhals und wirkte wie betäubt.
    »Jetzt du!« Brahim schob Jacques vor. »Jetzt frag du! Er spricht französisch. Oder wünsch dir was!«
    »Und weshalb hast du ihn befragt?«
    »Das ist geheim.« Brahim lachte. »Was ganz Privates.«
    Jacques war mit einem Mal hellwach. Wenn schon, dann wollte er den Marabout herausfordern. Er zog seine Schuhe aus und setzte sich zu ihm auf den Teppich.
    Sidi Chamarouch sah ihn scheinbar teilnahmslos an.
    Jacques sammelte sich und starrte zurück. Er müsste seine Frage kurz und so präzis stellen, dass sie dem Marabout keine zweideutige Antwort erlaubte. Er gab sich einen Ruck.
    »Ist der Onkel der Mörder?«
    Der Marabout rührte sich zunächst nicht. Dann griff er ein kleines Papier, schrieb mit seinem Federkiel einige Zeichen drauf, faltete das Blatt und wickelte ein kleines vielfarbiges Bändchen darum.
    »Der Onkel ist nicht der Mörder. Solange du dieses Papier mit dir trägst, findest du die hochgestellte Person, die schuldig ist.«
    Jacques fühlte sich geschlagen. Ob Marabout oder das Rätsel von Delphi, alles Quatsch. Da kann man auch gleich an den Weihnachtsmann glauben. Er trottete hinter Brahim her zurück in das kleine Versteck hinter dem Teppich. Todmüde. Auf der flachen Bühne wirbelte ein Mann in blutrotem langem Hemd zu lauter Gwana-Musik. Er schwang zwei scharfe Messer über dem Kopf, schnitt sich damit in die Zunge, doch sie blutete nicht, ritzte sich in die Arme, doch sie zeigten keine Wunde.
    »Du musst an ihn glauben, dann verletzt er sich nicht«, flüsterte Brahim, der den Messertanz leidenschaftlich verfolgte.
    »Ach, von wegen glauben! Lass mich ein wenig schlafen.« Jacques lehnte sich zurück. Die Augen fielen ihm zu. Die monotone Musik lullte ihn ein.
    Immer noch in Trance folgte er Brahim am Morgen zu einem Kleinbus, in dem er die letzte Bank, die für drei Personen vorgesehen war, mit vier Musikern teilte.

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