Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou
Marrakesch und der Anschlag auf Hariri zusammenhängen könnten.«
»Warum nennt Ricou es einen Anschlag?«, fragte der Chefredakteur und ließ das Feuerzeug aufschnappen.
»Er deutet es an. Er fliegt heute zurück, am Abend kann ich ihn sprechen. Das reicht für die zweite Geschichte übermorgen.«
»Hat dein Jacques auch den Brief des Corbeau erhalten?«
»Ich habe ihn nicht gefragt. Und außerdem ist er nicht mein Jacques! Aber ich habe mit seinem Büro telefoniert, seiner Gerichtsprotokollantin angeboten, eine Kopie zu schicken und sie dabei gefragt, ob das sinnvoll sei. Oh ja, hat die geanwortet, das würde Ricou sicher interessieren. Daraus schließe ich: Die haben den Brief nicht.«
»Und warum hast du ihn nicht selber gefragt?«
»Du weißt, nicht nur die NSA hört mit, sondern ganz bestimmt auch jemand aus unseren Diensten. Und die brauchen von unserer Recherche nichts mitzubekommen. Deswegen eine Ansage: Ihr schreibt nur auf Laptops, die nicht ans Internet angeschlossen sind.«
»Und bauen wir in das Stück am zweiten Tag auch die Verhaftung der Terroristen in Marokko ein?«, fragte Claude, einer der jungen Rechercheure am Tisch.
»Wer hat die Geschichte verfolgt?«, fragte Margaux, bevor Jean-Marc Real die kalte Zigarette aus seinem Mund nehmen konnte.
»Sag mal, bist du jetzt der Chefredakteur?«, murrte er.
»Bitte, wenn du mal dein Interesse von der Gitane auf unsere Konferenz lenken kannst, will ich dir gern den Vortritt lassen«, sagte Margaux. Alle lachten laut. Außer Jean-Marc Real.
Schweigen. Er überlegte kurz, ob er jetzt seine Zigarette anzünden sollte, aber das wäre nicht sehr souverän.
»Also, wer kennt die Geschichte am besten?«, fragte der Chefredakteur.
»Vorgestern Nacht wurden elf Leute in Casablanca und in der Nähe von Ouarzazate im Atlasgebirge festgenommen. Die marokkanische Polizei hat eine halbe Tonne Schwarzpulver in einer konspirativen Wohnung sichergestellt«, sagte Claude. »Angeblich gehören sie der AQMI an, also der Al Quaida-Fraktion Maghreb Islamique. Die AQMI hat vor zehn Jahren schon einmal ein Attentat in Casablanca verübt. Dabei sind 33 Leute umgekommen.«
Margaux sah zu Jean-Marc. Der hatte die Zigarette wieder in den Mund gesteckt.
»Was könnte diesmal das Motiv sein?«, fragte sie.
»Es hat ja riesige Demos gegen den Bau des TGV gegeben. Vielleicht will man sich das zunutze machen, um Mitglieder oder wenigstens Sympathisanten zu werben.«
Jetzt zog der Chefredakteur doch die Zigarette wieder zwischen seinen gelben Zähnen hervor und fragte: »Aber wie hängt der Anschlag auf Hariri oder gar der Mord an Mohammed mit der Bombe vor dem Ingenieurbüro zusammen?«
»Da können wir nur spekulieren«, antwortete Margaux. »Für Hariri könnte das gleiche Motiv gelten wie für das Attentat in Marrakesch. Denn vergessen wir nicht: Den Wagen, in dem Hariri verunglückte, fuhr Ibrahim Rossi, Ingenieur in Hariris Büro in Marrakesch. Und Rossi ist dabei umgekommen. Aber wer ist Rossi? Er ist der Schwager des ermordeten Mohammed.«
»Aber du sagst doch, Hariri behauptet, es sei ein Unfall gewesen. Weshalb wohl?«
»Aus Angst?«
»Aus Angst vor wem?«
»Vor den Terroristen? Vor der marokkanischen Polizei? Vor dem König?«
»Gut, dann machen wir auch einen Kasten zu Al Qaida au Maghreb Islamique«, sagte der Chefredakteur. »Für den zweiten Tag brauchen wir sicher wieder die ersten drei Seiten. Fotos gibt’s genug.«
»Und was machen wir am dritten Tag?«, fragte Claude.
Jean-Marc Real nahm die Zigarette wieder aus dem Mund und deutete mit ihr auf Margaux.
»Der dritte Tag wird dann ein Hammer«, sagte Margaux. »Kern der Geschichte: Hariri und Ronsard sind alte Kumpels. Ronsard war Minister, als der TGV -Vertrag abgeschlossen wurde. Wir müssen herausfinden, inwieweit Ronsard dafür gesorgt hat, dass Hariri als Vermittler eingetragen wurde. Ich weiß aus einer ziemlich sicheren Quelle, dass Hariri bei dem Vertrag nichts vermittelt hat. Sein Name wurde erst zum Schluss von jemandem aus der Regierung in den Vertragstext eingefügt. Damit er eine Millionenprovision erhält. Na, und mit wem teilt er sich die wohl?«
Jean-Marc Real schaute Margaux fragend an und formte mit den Lippen den Namen Dati. Margaux nickte.
»Außerdem wird es nach den ersten beiden Veröffentlichungen schon irgendwelche Reaktionen geben. Also, für den dritten Tag mache ich mir keine Sorgen. Und vielleicht kannst du dem Richter was entlocken, wenn er heute zurück
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