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Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Titel: Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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starke Scheinwerfer auf und blendeten Brahim und Jacques. Genauso plötzlich gingen die Lampen wieder aus. Jacques konnte kaum noch etwas in der Nacht erkennen. Brahim ging es nicht anders.
    Der Lieferwagen hinter ihnen war auf einmal verschwunden.
    Brahim stieg mit aller Kraft auf die Bremse.
    Jacques wurde in die Gurte geworfen.
    Dann versuchte Brahim, den Wagen so weit wie möglich an den rechten Straßenrand zu lenken, doch der Laster mit seinen hohen Rädern und Stoßstangen, gewaltig wie Eisenträger, hielt mit vollem Tempo auf sie zu.
    Um einem Aufprall im letzten Moment zu entgehen, riss Brahim das Steuer nach links und gab Vollgas. Jacques schlug die Arme vor seinen Kopf aus Angst, der Laster würde jetzt in seine Seite prallen. Doch Brahim hatte die Entfernung richtig eingeschätzt. Mit Getöse donnerte der Laster hinter ihnen vorbei.
    Ihr Wagen schleuderte in ein Feld auf der anderen Seite der Straße, schaukelte, drehte sich auf die Seite, und als Jacques sich bewegte, kippte er langsam wie in Zeitlupe ganz um und lag auf dem Dach.
    Brahim lachte trocken, als er Jacques unverletzt neben sich im Gurt hängen sah.
    »Schnell raus! Schnell raus, an deiner Seite!«, rief er ernst. »Die wollten uns umbringen.«
    Jacques’ Tür klemmte, aber das Fenster war zerschlagen. Er schlängelte sich hinaus auf das Feld. Der Wagen verdeckte ein wenig die Sicht auf die Straße. Etwa dreihundert Meter entfernt standen der Lastwagen und der Lieferwagen.
    Brahim zupfte ihn am Ärmel. »Alles okay?«
    »Ja. Alles okay.«
    »Nichts wie weg. Kriechen, nicht rennen. Sonst sehen die uns.«
    Für einen Moment versteckten sie sich hinter einer Hecke.
    Der Laster drehte und holperte mit den Vorderrädern auf das Feld. Dann schaltete jemand alle Scheinwerfer an. Brahims Autowrack wurde taghell ausgeleuchtet.
    »Wir haben Glück, wir haben Glück«, lachte Brahim wieder. Dann deutete er auf einen etwa zwei Meter hohen, runden Erdwall in kurzer Entfernung. Im Schutz der Hecke krochen die beiden Männer hinter diesen Wall, sodass sie vom Lastwagen aus nicht gesehen werden konnten.
    »Kletter über den Erdhaufen«, sagte Brahim, »und rutsch dann rückwärts ganz langsam nach unten! Da ist ein Brunnen, der über eine unterirdische Leitung sein Wasser erhält.«
    Gelenkig krabbelte der Gwana los und war sofort im Brunnen verschwunden. Als Jacques etwas ungelenk hinterherrutschte, spürte er Brahims Hände an seinen Beinen. »Noch einen Meter. Gleich ist’s geschafft.«
    Brahim las ein trockenes Blatt auf und legte es in die Rinne, die Wasser führte. Als sich das Blatt nach einem Moment behutsam in eine Richtung bewegte, lachte Brahim wieder auf. »Wir müssen in die entgegengesetzte Richtung. Das Wasser fließt in einer kaum spürbaren Neigung von den Bergen hinab in die Oase Marrakesch. Und unsere Verfolger werden vermuten, wir würden dahin fliehen. Wir gehen aber in Richtung Berge. Denn acht oder zehn Kilometer von hier liegt das Dorf Kik. Und dort findet in diesen Wochen das Gwana Musik-Festival statt. Unter meinen Leuten, unter den Gwana, finde ich tausend Freunde, und wir sind sicher. Halt dich an meinem Gürtel fest. Wir müssen uns vortasten. Hoffentlich kommt der Vollmond heute raus.«
    Und dann erzählte Brahim, dass schon seit Jahrhunderten diese unterirdischen Kanäle, Retaras genannt, mühsam Tropfen für Tropfen Marrakesch mit Wasser versorgten. Bei ihrem Bau sei alle paar Hundert Meter die Erde aus den Retttaras nach oben geschaufelt worden, und so entstanden diese Brunnen, aus denen die Bauern seit Ewigkeiten Wasser schöpfen.
    Brahim tastete sich durch das Dunkel. Dann blinkte ein heller Schimmer vor ihm auf. Er nutzte sein Handy als Taschenlampe.
    Jacques hörte es rascheln. Das werden Ratten sein, dachte er.
    Die Decke des Kanals lief oben spitz zusammen und war so hoch, dass Jacques fast aufrecht gehen konnte.
    Es war angenehm kühl in dem Kanal. Um nicht in das Wasser zu treten, lief er im Watschelgang und setzte seine Füße abwechselnd rechts und links von der Rinne auf. Das war schon bald sehr anstrengend.
    Als nach fünfhundert Metern der schwache Schein des Mondes durch die Öffnung des nächsten Brunnens schien, schaltete Brahim das Licht aus. Sie warteten einen Moment.
    Geräusche vom Wind, dem Heulen eine Hundes in der Ferne, von einem weinenden Kind oder einem streunenden Kater drangen zu ihnen hinunter.
    Als sie nichts Verdächtiges hörten, gingen sie vorsichtig weiter. Plötzlich stank es. Brahim

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