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Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Titel: Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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Draußen war es noch Nacht.
    Brahim legte ihm eine Laute auf den Schoß. So bist du Musiker.
    Der Wagen fuhr holprig. Die Luft roch nach Dieselöl.
    Plötzlich wurde es hell.
    Jacques döste noch vor sich hin, als Brahim laut eine Warnung auf Arabisch rief. Und mit einem Schlag waren alle wach. Die Musiker fingen an, auf ihren Instrumenten zu spielen, zwei Sänger, die Jacques einrahmten, stimmten einen monotonen Singsang an. Der Wagen begann zu schaukeln.
    Militärkontrolle.
    Ein Offizier trat an das Fenster des Fahrers, redete auf ihn ein, doch der verstand wegen der lauten Musik kein Wort. Der Offizier schrie ein paar Worte in den Bus, doch die Musik verstummte nicht, sie wurde nur ein wenig leiser. Brahim lachte laut. Jacques hielt die Laute vor seinen Bauch, schaute hinunter und zupfte an einer der drei Saiten.
    Der Offizier schaute in den Wagen, schüttelte den Kopf und gab die Fahrt frei.
    Der Wagen fuhr weiter. »Das war wohl eine Kontrolle? Aber von wem?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht suchen sie uns.« Brahim lachte. »Oder irgendwelche Terroristen.«
    Die Sonne ging auf. Jacques sah die hohen Mauern von Marrakesch. »Was machen wir jetzt?«, fragte er. »Wir können auf keinen Fall zu Jil.«
    »Zu mir kannst du auch nicht. Aber du kommst mit. Ich bring dich bei einem Musikerfreund unter. Wir alle wohnen im ›Ryad Laârouss‹, das ist das Viertel der Gwana. Da sind wir unter unseresgleichen.«

YuanYuans Belohnung
    F rauen, die die Polizei mit zu vielen Kondomen in der Handtasche erwischt, werden gleich mitgenommen. Verdacht der Prostitution. Das wusste YuanYuan inzwischen.
    Sie stand in der Schlange der Frauen, denen von Freiwilligen im »lianghua che« geholfen wurde. »Lianghua che« nannten die chinesischen Prostituierten in Belleville den Lotusbus der Ärzte der Welt. Bis zu zweihundert Frauen standen Schlange, wenn der Bus in der Rue de Belleville vorfuhr.
    YuanYuan überlegte, wie viele Gummis sie sich geben lassen sollte. Kostenlos. Das war wichtig. Pro Tag verbrauchte sie ein halbes Dutzend. Mindestens. Aber der Bus der Ärzte der Welt kam nur mittwochs. Die Chinesin hatte eine kleine Reserve von Verhütungsmitteln unter ihrem Bett. Aber die war vor den fünf Frauen, mit denen sie das Zimmer teilte, nicht sicher.
    Der Lotusbus, groß wie ein Lieferwagen, war in zwei Räume unterteilt, in denen ein Arzt die Besucherinnen untersuchen konnte. Und da YuanYuan den Lotusbus schon seit zwei Jahren regelmäßig aufsuchte, kannte sie die Freiwilligen beim Namen. Laula mochte sie besonders gern. Die empfahl ihr neben Kondomen auch Verhütungsgels und gab ihr persönliche Tipps.
     
    Damit ihre Kleine auf die Schule gehen konnte, war YuanYuan mit einem Touristenvisum nach Frankreich gereist, im Glauben, in kurzer Zeit viel Geld verdienen, die Schulden, die sie wegen der Papiere gemacht hatte, schnell bezahlen und das Schulgeld nach Dongbei schicken zu können. Aber der karge Lohn in der Wäscherei in der Rue de Belleville reichte dafür längst nicht aus. Deshalb stand sie abends auf der Straße. Wie ein paar Hundert anderer Chinesinnen. Auch die meist aus Dongbei. Fast alle waren Mütter, die für ihr Kind zu Hause in China sorgten und sich ihrer Arbeit auf der Straße schämten.
    In der Warteschlange redeten sie nicht miteinander. Höhepunkt von YuanYuans Tag in Belleville war das abendliche Skypen mit ihrer Tochter in Dongbei.
    Aber ihrer Tochter erzählte sie nur von den Stunden am Bügelbrett.
    Der Lieferwagen der Wäscherei fiel YuanYuan sofort auf, als er neben dem Lotusbus hielt. Vielleicht weil er so schmuddelig aussah. Und das widersprach ihrer Vorstellung von frischer Wäsche. Die riecht gut.
    Als die Seitentür aufgeschoben wurde und eine sehr kleine Frau herausstieg, dachte die Chinesin wieder an die Belohnung, von der die Männer der Triade 14 K gesprochen hatten. Fünftausend Euro für den, der eine Frau sieht, so klein wie eine Zwergin, aber doch keine ist. Eine Frau, so groß wie eine Zehnjährige, eine zehnjährige Französin. Vielleicht so groß wie ihre Tochter, die jetzt bald vierzehn würde. Und die hatte sie jetzt zwei Jahre nicht mehr im Arm gehalten.
    Die kleine Frau trippelte schnell in den Innenhof des Cour de la Métairie und verschwand dort.
    YuanYuan zögerte nur einen kleinen Moment, sagte der Frau hinter sich in der Schlange, sie komme gleich zurück, und huschte hinter der kleinen Frau her. Sie wartete im Innenbogen des Eingangs zum Hof, bis sie sah, zu welcher Tür diese Frau

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